Licht lässt Säfte fließen

Leaf veins of Cardiocrinum giganteum
Leaf veins of Cardiocrinum giganteum(c) DR JEREMY BURGESS / Science Phot (DR JEREMY BURGESS)
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Wie bewerkstelligen Pflanzen ohne Herz und Hirn ihren Flüssigkeitstransport? Durch ein Zusammenspiel von Optik und Fluidik, antwortet ein Physiker.

Dass eine wissenschaftliche Publikation, gar die eines Physikers, mit Fotos von Topfpflanzen in der Wohnung des Verfassers eröffnet wird, hat man noch nicht gesehen. Aber Demetri Psaltis (Lausanne) hat zu Hause eine Calathea, die sich, wenn es dunkel wird, in ihre Blätter einwickelt. Viele Pflanzen tun Ähnliches, man weiß es seit Jahrhunderten, Darwin nannte es schlafen. Wie geht das zu? Es kann nur am Licht liegen. Aber wirkt das umwegig, über innere Uhren („circadian clocks“), die jeden Morgen an der Sonne justiert werden? Oder reagieren Pflanzen direkt auf Helligkeit?

Zumindest partiell tun sie das, Psaltis hat es erkundet, mit einem Griff zum Lichtschalter: Seine Calathea wachte auf und streckte sich. Mit dem Befund betrat der Fachfremde ein Feld, das mit ähnlich basalen Experimenten Schritt für Schritt erschlossen wurde: 1649 pflanzte Jan Baptista van Helmont eine Weide in einen Topf, vorher wog er sie und die Erde, dann goss er regelmäßig, sonst tat er nichts. Fünf Jahre später wog er wieder, der Baum war gediehen, die Erde hatte minimal Gewicht verloren, van Helmont sah nur eine Erklärung: „164 Pfund Holz, Rinde und Wurzeln entstanden aus Wasser allein.“

Es war zu kurz gedacht, das bemerkte 1771 John Priestley: Er stellte eine brennende Kerze in einen Glasbehälter und verschloss den Deckel, lang flackerte die Flamme nicht. In der nächsten Runde setzte er noch eine Maus hinein, auch ihr Licht erlosch. Aber es bzw. sie blieb wohlauf, als Priestley noch etwas hinzufügte, einen Zweig Minze: Der erste Hinweis auf die Fotosynthese war da, es dauerte noch bis 1845, bis geklärt war, dass sie Wasser, Kohlendioxid (CO2) und Licht braucht, um Sauerstoff, organisches Material und chemische Energie zu erzeugen. Licht ist in der Luft, CO2 auch, aber das Wasser muss erst einmal aus dem Boden dort hinkommen, wo die Fotosynthese läuft, hinauf, in Bäumen hoch hinauf, und das ohne all das, was bei Tieren deren Lebenssaft zirkulieren lässt: „Ein Baum hat kein zentrales Nervensystem (Gehirn), er hat auch keine zentrale Pumpe (Herz)“, formuliert Psaltis das Problem aus seiner Sicht.

Auch diese mag verkürzt sein: Der Physiker hat sich sehr gut in die Botanik eingearbeitet, aber manches bleibt ausgeblendet, etwa die heiß debattierte Frage, ob Pflanzen ein Nervensystem haben. Darauf geht Psaltis nicht ein, er braucht es nicht, kommt ohne Zentralorgan für die Lösung des Problems auf, wie Wasser die Bäume hinaufkommt.

„Das Zusammenspiel von Optik, Fluidik und Biochemie macht es möglich“: Das Wasser wird hinaufgezogen, vom Licht. Das sorgt ganz oben dafür, dass die Stomata, die Poren der Blätter, in denen Gase mit der Umwelt ausgetauscht werden, sich öffnen, via Chemie und Physik: Die Energie des Lichts wird zunächst dazu genutzt, dass Protonen aus den Zellen austreten, das bringt eine Potenzialdifferenz in die Zellwand, die positiv geladene Kalziumionen einströmen lässt. Sie ziehen negativ geladene Chlorionen nach, die via Osmose dafür sorgen, dass Wasser in die Zellen drängt. Diese schwellen an, asymmetrisch, das gibt den Weg frei.


Todesgefahr Kavitation. Zugleich werden die Stomata durch das Licht erwärmt, Wasser verdunstet und tritt aus, das zieht Wasser nach, durch das Xylem, ein Gefäßsystem, das zu den Wurzeln reicht. (Ein zweites, das Phloem, verteilt die Produkte der Fotosynthese.) Abreißen darf der Fluss nicht, ins Stocken geraten auch nicht, bedroht ist er oft: Bei Trockenheit etwa dringen durch das Xylem Luftbläschen ein und blockieren, mit Kavitationen – sie sind eine Parallele zu Embolien, die uns den Tod bringen können –; man kann ihre Bildung mit Spezialmikrofonen verfolgen, es knistert vernehmlich.

Besonders häufig tut es das in Farnen, Blütenpflanzen sind besser gewappnet, Timothy Brodribb (Hobart) hat es bemerkt (Pnas, 11. 4.). Aber alle Pflanzen sind gefährdet, und sie sind es allerorten, auch in feuchten Regionen. Zudem arbeiten Pflanzen mit hohem Risiko hart am Limit, zumindest Bäume tun es, eine Gruppe mit Stefan Mayr (Innsbruck) hat es an 286 Arten an verschiedensten Standorten erhoben (Nature 491, S. 752).

Noch etwas haben Bäume gemeinsam, sie sind alle etwa gleich warm, ob sie nun im höchsten Norden wachsen oder im tiefsten Süden, sie halten 21,4 Grad Celsius (plus/minus 2,2), es ist die optimale Temperatur für die Fotosynthese (Nature 454, S. 411). Für diese sorgen Pflanzen mit der Morphologie und Physiologie ihrer Blätter, sie sind auch sonst keine passiven Spieler, sondern wissen die Macht des Lichts zu nutzen: Blätter in praller Sonne haben glatte Oberflächen, so fangen sie die ganze Energie ein, Blätter weiter unten im Halbschatten sind zerfurcht, das ist optimal für Streulicht. Aber zu viel darf auch nicht hinein, sonst nimmt der Fotosyntheseapparat Schaden. Eine Schutzmaßnahme besteht darin, dass die Chloroplasten, die „Maschinen“ der Fotosynthese, bei Überhitzungsgefahr wandern und sich so anordnen, dass sie einander abschatten. Psaltis sieht auch darin ein Musterbeispiel für das, was sein neuer Blick – er nennt ihn „optofluidics“ – zugänglich macht, und er hofft generell, auch andere Physiker zur Beschäftigung mit Pflanzen anzuregen (APL Photonics, 17. 4.).

Manche muss man nicht erst bitten: Wenn es dann wieder Abend wird und Pflanzen sich zur Ruhe betten, dann tun das nicht nur jene in Psaltis Wohnung. Sondern auch die Bäume im Wald. Dort gibt es keine Lichtschalter, die man an/abdrehen könnte, dort braucht es andere technische Geräte: Laser mit so kurzen Blitzen, dass sie Pflanzen vermessen können, ohne sie mit dem Licht zu beeinflussen. Eine Gruppe mit Norbert Pfeifer (TU Wien) hat es getan, an zwei ausgewachsenen Birken, einer in Finnland, einer in Österreich, in der Gegend von Horn (Frontiers in Plant Science, 17. 5.): Beide sanken in der Nacht in sich zusammen, um fünf bis zehn Zentimeter, am tiefsten hingen die Äste etwa eine Stunde vor Sonnenaufgang. Dann schoss wieder Wasser in sie hinein und richtete sie auf. Über eine innere Uhr oder die ersten Vorboten des Lichts? Das können die Forscher nicht entscheiden: „Idealerweise müsste man über mehrere Tageszyklen einen Baum messen, der von natürlichem Licht isoliert ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2016)

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