Einmal Sieges-, dann Befreiungsoper

Opernhaus
Opernhaus(c) Die Presse - Clemens Fabry
  • Drucken

Konfrontationen und Proteste, Tradition und politische Vorgaben: Im Haus am Wiener Ring orientierten sich die Aufführungen und Inszenierungen an der jeweiligen Epoche.

Leonore, alias Fidelio, kann ihren gefangenen Mann, Florestan, retten. Das ursprünglich als Rettungsoper, dann als Befreiungsoper bezeichnete Werk von Ludwig van Beethoven wurde in der Geschichte der Wiener Oper für unterschiedliche Szenarien auf den Spielplan gesetzt. Am 27. März 1938 unter den Nationalsozialisten hatte man „Fidelio“ – zwei Wochen nach dem Anschlussgesetz – als Fest- und Siegesoper ausgewählt, bei der Hermann Göring anwesend war; am 6. Oktober 1945 galt die Oper – bei der Eröffnung im Ersatzhaus, dem Theater an der Wien, gespielt – als Zeichen für die Befreiung vom Nationalsozialismus; am 8. November 1955 bei der Wiederöffnung der Staatsoper als Befreiung von den vier alliierten Besatzungsmächten in diesem Jahr.

Der „Fidelio“ ist nur ein Beispiel, das Christian Glanz von der Musikuniversität Wien im Rahmen des Forschungsprojekts „Eine politische Geschichte der Wiener Oper 1869–1955“ anführt. Als Eckdaten für das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt wurden die Eröffnung des neuen Opernhauses am Ring 1869 und die Wiedereröffnung – zehn Jahre nach der Zerstörung gegen Ende des Zweiten Weltkriegs – gewählt. Glanz leitete und koordinierte die Recherchen von vier jungen Wissenschaftlern, der Historikerin Carolin Bahr, der Politologin Tamara Ehs und den Musikwissenschaftlern Angelika Silberbauer und Fritz Trümpi.

Laute Tumulte, gute Kritiken

Der untersuchte Zeitraum von 86 Jahren wurde zur leichteren Überschaubarkeit in fünf Epochen geteilt: die Ringstraßenkultur in der Zeit der liberalen Hegemonie, das durch die Badeni-Unruhen geprägte Jahr 1897 (mit der später zurückgenommenen Sprachenverordnung), die Oper in der jungen Republik, die Oper im Austrofaschismus und der NS-Zeit und schließlich die Zeit des Wiederaufbaus.

Auch innerhalb dieser zeitlichen Abschnitte musste man sich auf einige Opern als „exemplarische Anschauungsorte“ beschränken, sagt Christian Glanz. So wurde beispielsweise für die Ringstraßenzeit „Die Königin von Saba“ von Karl Goldmark gewählt, bei der Bühnenbild und Kostüme deutlich auf die Makart-Zeit verweisen. Wegen der jüdischen Herkunft Goldmarks kam es zu Tumulten und Protesten deutschnationaler Kreise, und ein Orchestermusiker hatte sogar eine „Judennase“ auf eines seiner Notenblätter gemalt. Allerdings fand die Oper fast durchwegs positive Kritiken. Musikhistoriker Glanz spricht hier von einer Wechselwirkung, die zeige, dass man Opernaufführungen in dieser Zeit „nicht eindimensional sehen dürfe“.

Ähnlich war es mit der Smetana-Oper „Dalibor“, die geradezu als tschechische Nationaloper galt, bestellt. Die Aufführung gerade im Jahr von Badenis tschechischer Sprachenverordnung führte zu Entrüstungsstürmen. Aber auch da darf man die Rezeption der Oper nicht nur von einer Seite sehen. „Gerade das angefeindete Libretto wurde von dem Prager Josef Wenzig ursprünglich in deutscher Sprache verfasst und erst später ins Tschechische übersetzt“, sagt Glanz. Im Ständestaat wurde „Dalibor“ wieder auf den Spielplan gesetzt, bemühte sich doch Österreich in diesen Jahren um ein gutes Verhältnis zur Tschechoslowakei.

Es überrascht, dass man gerade in der NS-Zeit „Dalibor“ aufführen wollte. Projektmitarbeiterin Angelika Silberbauer fand im Opernarchiv Veränderungen zum „Dalibor“-Text, die für eine Aufführung geplant waren. Dass König Vladislav in der Oper einem Aufstand zuvorkommt und seine Macht festigt, wurde damals als Zeichen interpretiert, dass ein Fürst gewaltsam handeln müsse. Silberbauer: „Es wurde handschriftlich ,heilig ist das Ziel‘ hinzugefügt.“ Warum es nicht zur Aufführung kam, ist nicht belegt.

Wien kontra Berlin

Aus den NS-Jahren hatte man auch eine zweite Besonderheit ausgegraben. Der Wiener Gauleiter, Baldur von Schirach, gab seine Zustimmung zur Uraufführung der Wagner-Régenyi-Oper „Johanna Balk“, was in Berlin unter Göbbels unmöglich war. Das Publikum reagierte empört, die Kritiken allerdings nicht. „Wahrscheinlich wollte Schirach der Wiener Musikkultur gegen jene von Goebbels in Berlin eine eigene Note geben“, sagt Christian Glanz.

Für die Zeit nach 1945 wurde eine „weitestgehend fehlgeschlagene Entnazifizierung“ des Staatsopernpersonals festgestellt. Man attestierte den Mitarbeitern sozusagen eine unpolitische Identität. Das betraf die Musiker und Arrangeure auf allen Dienstebenen, nicht nur die großen Stars wie Karl Böhm, der auch 1955 die „Fidelio“-Premiere dirigierte. Zudem waren in den Nachkriegsjahren „die Reflexe des sich abzeichnenden Kalten Kriegs überraschend stark präsent, aber auch die Wiederaufbauhilfe aus den USA war besonders interessant“, sagt Teammitarbeiter Fritz Trümpi.

Als eines der Ergebnisse des Forschungsprojekts wurde eine Datenbank erstellt, die alle Aufführungen der Wiener Oper von 1866 bis 1945 enthält. Sie ist abrufbar unter: www.mdw.ac.at/iatgm/operapolitics/spielplan-wiener-oper

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.