Wie wurde Amerika besiedelt? Nicht wie bisher gedacht!

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Das Szenario, in dem Einwanderer einen eisfreien Korridor nutzten, lässt sich nicht halten: Im Korridor gab es nichts zu essen.

Amerika wurde vor etwa 13.500 Jahren erwandert, von Sibirien aus, die Eiszeit hatte das Meer so sinken lassen, dass die Ahnen der amerikanischen Ureinwohner – die Clovis – trockenen Fußes über die Beringstraße kamen. So steht es in den Büchern, allerdings mehrten sich in den letzten Jahren die Zweifel: Ganz im Süden des Doppelkontinents, in Feuerland, lebten Menschen schon vor 14.500 Jahren, und im Norden hinterließen andere vor 15.000 Jahren Spuren, Werkzeuge und Waffen – ganz andere als die der Clovis –, auch Koprolithen, versteinerte Kotstücke.

Diese datierte und analysierte Eske Willerslev (Kopenhagen), er ist der Star der Paläogenetik: Die Gene wiesen nach Sibirien, aber die Datierung schloss die Clovis aus, andere müssen früher gekommen sein, Willerslev nannte sie „Western Stemmed“. Das stieß auf heftigen Widerspruch vor allem seitens heutiger indigener Völker – sie wollen sich die Clovis als Ahnen nicht nehmen lassen –, aber es gab noch ganz andere Funde: 40.000 Jahre alte Fußspuren in Mexiko, die allerdings umstritten sind. Und in Brasilien deuten in manchen Indigenen uralte polynesische Gene auf eine frühere Besiedlungswelle aus diesem Raum.

Trotzdem hielten sich die Clovis und die 13.500 Jahre. Aber nun macht Willerslev einen neuen Strich durch die Rechnung. Diese geht so: Als die Einwanderer im Nordosten Amerikas ankamen, zogen sich gerade die Gletscher zurück, die zuvor alles bedeckt hatten. Sie gaben einen Weg frei – den „ice-free corridor“, der 1500 Kilometer weit im Osten der Rocky Mountains ins Innere des Landes führte. Auf ihm seien die Clovis gewandert.

Aber auf ihm konnten sie nicht wandern, weil zwar das Eis gewichen, aber noch keinerlei Leben gekommen war, von dem die Menschen sich hätten ernähren können und mit dessen Biomasse sie hätten heizen können: „Der Korridor war vor 13.000 Jahren offen, er konnte aber erst hunderte Jahre später genutzt werden“, fasst Willerslev zusammen, was er und sein Team in aDNA-Analysen gefunden haben, für die man alte (a = ancient) DNA sammelt, die sich in Böden findet.

Enges Zeitfenster für die Wanderung

Diese hat Willerslev entlang des Korridors ausgewertet: Noch vor 12.600 Jahren wuchs fast nichts, erst dann kam rasch eine Steppenvegetation. Als erste große Tiere tauchten vor 12.500 Jahren Bisons auf, 100 Jahre später waren auch Elche da und Seeadler, sie ernähren sich vor allem von Aas. Ihre Existenz zeigt, dass genug davon da war. Dass das Leben auch in den vielen Seen entlang des Korridors blühte, zeigen Raubfische, Hechte, sie waren vor 11.600 Jahren da.

Später änderte sich die Vegetation, vor 10.000 Jahren kamen dichte Wälder, die kaum zu durchdringen waren und der Beute der Clovis keinen Raum boten: Es gab den Korridor also nur von vor 12.500 bis vor 10.000 Jahren (Nature 10. 8.). Oder gab es ihn doch früher? Willerslev ist zwar der Star, aber nicht der einzige seiner Zunft: Beth Shapiro (UC Santa Cruz) hat gerade die Gene verschiedener Bisons analysiert, sie zeigten, dass die Ahnen der Tiere vor 13.400 Jahren den Korridor gequert hatten, hin und her (Pnas 19. 7.).

Willerslev vermutet, dass diese Wanderungen viel früher stattfanden, als die Gletscher noch nicht da waren, vor 23.000 Jahren. Das muss sich klären lassen, und die zentrale Frage auch: Wenn die Uramerikaner erstens nicht die Clovis waren und zweitens nicht über das Land kamen, wer waren und wie kamen sie dann? Jene in Nordamerika kamen mit Sicherheit aus Asien, wohl in mehreren Wellen, die erste nutzte vermutlich den „kelp highway“. Kelp ist Seetang, der an den Küsten rund um den Pazifik regelrechte Wälder bildet, in dem viel Leben gedeiht. Ihm könnten die Siedler gefolgt sein, zu Fuß oder per Schiff die Küsten entlang von Kamtschatka nach Alaska, hinab nach Kalifornien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2016)

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