Schwammerlsuchen für die Wissenschaft

Er sieht dem Flockenstieligen Hexenröhrling zum Verwechseln ähnlich, Neoboletus xanthopus ist aber eine eigene Art.
Er sieht dem Flockenstieligen Hexenröhrling zum Verwechseln ähnlich, Neoboletus xanthopus ist aber eine eigene Art.(c) W. Klofac
  • Drucken

Geschätzte 17.000 Pilzarten wachsen in Österreich. Dazu zählen neben solchen mit Fruchtkörper auch Flechten oder Fußpilz. Bekannt sind aber längst nicht alle: Forscher entdecken immer wieder neue Arten.

Lang hat man nicht genau hingeschaut und ihn als Flockenstieligen Hexenröhrling verkannt. Wiener Molekularbiologen entdeckten schließlich, dass sich der Pilz mit dem braunen, samtigen Hut und dem leicht bauchigen Stiel in seiner molekularbiologischen Struktur aber unterscheidet. Eine neue Art war gefunden; nicht nur für Österreich, sondern für die Wissenschaft insgesamt. Die Forscher tauften den Pilz auf den Namen Neoboletus xanthopus. Das bedeutet so viel wie Gelbfüßiger Hexenröhrling. Ein ähnliches Schicksal erlebten auch Lactarius oedematopus und Lactarius subvolemus. Lang zählte man sie zum begehrten Brätling. Bis heuer im Jänner klar war, dass in Europa drei verschiedene Arten wachsen. Diese sind mittlerweile auch in Österreich nachgewiesen.

Wie auch im Tierreich entdecken Forscher in der Wissenschaft der Pilze, der sogenannten Mykologie, immer wieder neue Arten. Dabei gilt es zunächst zu prüfen, ob diese schon beschrieben sind. Das lässt sich aber gar nicht so einfach feststellen. Die Funde gleichen die Forscher nämlich mit Datenbanken und Herbarien weltweit ab.

„In Österreich sind wichtige Sammlungen wie die der Uni Graz oder des Naturhistorischen Museums aber noch gar nicht fertig ausgewertet“, sagt Irmgard Greilhuber vom Department für Botanik der Uni Wien. Und trotz Internets ist ältere Literatur oft schwer zugänglich. „Solange diese Lücken nicht geschlossen sind, können wir nur mit Vorbehalt feststellen, welche Arten neu für Österreich sind“, so die Forscherin. Gemeinsam mit Forscherteams aus aller Welt hat sie bereits mehr als ein Dutzend Pilze neu entdeckt und getauft.

Funde frisch beschreiben

Bis heute sammeln Wissenschaftler Pilze selbst in Wald und Wiese: als Beleg und um später Material für molekularbiologische Untersuchungen zu haben. In kleinen Schachteln schützen sie die Proben zunächst vor Druck. Dann trocknen sie sie „schnell und schonend“ mit Dörrobsttrockengeräten. Die Dokumentation ist allerdings aufwendig, denn alle Funde müssen beschrieben werden, wenn sie frisch sind. Warum? Weil sich Pilze nach dem Pflücken verändern, manche verfärben sich etwa. „Bei Blütenpflanzen ist das einfacher“, schmunzelt die Biologin.

Manches, was Laien für Pilze halten, gehört eigentlich zur Gruppe der Algen oder anderen. Mit „Schwämmen“ meinen Biologen wiederum nur die in Meeresgewässern lebenden Tierstämme. Pilze bilden ein eigenes Reich innerhalb der Organismen. Sie sind mit Tieren näher verwandt als mit Pflanzen: Sie leben nicht von Fotosynthese, gewinnen die Nahrung durch den Abbau organischer Substanzen. Anders als etwa der Mensch haben sie ihre Verdauung ausgelagert: Sie scheiden Enzyme aus, die Nährstoffe aus der Umgebung lösen. Diese nehmen sie in flüssiger Form wieder auf.

Speisepilze und ihre Verwandten bestehen neben dem – sichtbaren – Fruchtkörper aus einem Myzel, einem Netz aus mikroskopisch kleinen, fadenförmigen Zellen. Und es gibt auch Pilze ohne Fruchtkörper, dazu zählt etwa der Fußpilz. Berücksichtigt man auch Flechten oder Hefepilze, schätzt Greilhuber die Zahl der heimischen Pilze in Österreich auf rund 17.000 Arten.

Dabei ist Österreich bezogen auf die Fläche deutlich pilzreicher als etwa Deutschland. „Der Grund sind die Alpen und die unterschiedlichen Klimazonen“, erklärt Greilhuber. Diese machen Österreich sehr vielfältig. Vielen alpinen Pilzen ist es weiter unten zu heiß; andere gedeihen wiederum nur in der Pannonischen Tiefebene.

Ohne Pilze ersticken wir

Vor dem gierigen oder gedankenlosen Ausreißen von Pilzen warnt die Forscherin: Ihr Beitrag für den Stoffkreislauf im Ökosystem sei unersetzlich, denn vor allem Pilze könnten die von Pflanzen produzierte Holzsubstanz Lignin abbauen: „Ohne Pilze würden wir an der Biomasse ersticken.“ Außerdem leben rund 80 Prozent aller Blütenpflanzen in symbiotischen Gemeinschaften mit Pilzen: Dabei steigern sie auch Wachstum und Ertrag von Getreide.

Um das Reich der Pilze zu erfassen, baut Greilhuber als Präsidentin der Österreichischen Mykologischen Gesellschaft gemeinsam mit anderen Forschern – ehrenamtlich – eine Datenbank auf. In dieser sollen Vorkommen und Verbreitung der Pilze in Österreich umfassend dokumentiert und präsentiert werden: Nicht nur Wissenschaftler, auch Pilzfreunde und Naturschutzbehörden haben Zugriff auf mehr als 8000 beschriebene und 1000 abgebildete Arten (siehe Lexikon).

Gemeinsam mit anderen Mykologen arbeitet Greilhuber derzeit auch an einer Neuauflage der Roten Liste der Großpilze für Österreich. Damit soll verhindert werden, dass manch rare Neuentdeckung gleich wieder ausgerottet wird.

IN ZAHLEN

8160Arten haben Forscher, Pilzfreunde und Einrichtungen mit Pilzsammlungen bereits in einer Datenbank der Pilze Österreichs erfasst. 488.876 Fundmeldungen von 14.500 Fundorten können abgerufen werden.

6Millionen Einzeldaten sind gespeichert. Neben Orts- und Zeitangaben beinhaltet jeder Datensatz Informationen rund um den Pilz. Interessierte können Funde melden.

www.Pilzdatenbank:austria.mykodata.net

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.