Gletscherschmelzen in Grönland live bewerten

Wolfgang Schöner unterwegs in „seinem Labor“ in Grönland, das er nun auch von Österreich aus beobachten kann.
Wolfgang Schöner unterwegs in „seinem Labor“ in Grönland, das er nun auch von Österreich aus beobachten kann. Uni Graz
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Die Uni Graz und ZAMG installieren eine Wetterstation in Grönland. Diese misst etwa Temperatur, Wind und Niederschlag. Gemeinsam mit automatischen Kameras wird damit die Gletscherveränderung live überwacht.

Grönland – die größte Insel der Erde – hat, abgesehen von der Antarktis, die geringste Bevölkerungsdichte der Welt. Kein Wunder, ist es doch mit riesigen Eisschilden und unzähligen Gletschern bedeckt. Diese sind teils Kilometer breit und türmen sich Hunderte Meter hoch auf. Wollen Forscher dort Messungen durchführen, müssen sie am Rand der Gletscher einfache Zeltlager errichten. Doch zuvor bedarf es noch einer langen, teuren Anreise.

Wolfgang Schöner, Universitätsprofessor für Physische Geographie am Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz, bereiste Grönland schon mehrfach. Auch diesen Sommer hält er sich zwei bis drei Wochen in Nordostgrönland auf. Dort befindet sich die dänische, dauerhaft besetzte, Forschungsstation Zackenberg: das Basislager für Schöner. Denn „sein“ Forschungsobjekt, der sechs Quadratkilometer große Freya-Gletscher, befindet sich auf der anderen Seite des Fjords. Er und sein Team müssen diesen, durch einen seewärts wandernden Talgletscher entstandenen, Meeresarm noch mit einem Boot überwinden und danach ihre Zelte aufschlagen. Erst dann beginnt die eigentliche Forschungsarbeit.

Bilder und Daten in Echtzeit

Das ist zeitaufwendig, mühselig und wegen der fehlenden Infrastruktur teuer. Die Universität Graz und die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) installierten daher im Rahmen des Projekts Glacio-Live ein neues Echtzeit-Monitoring-System. Dieses besteht aus automatischen Wetter- und Massenbilanzmessstationen sowie automatischen Beobachtungskameras. Die Einrichtung des Systems, bestehend aus Akkus, Solarpanelen, Windturbinen und den Messsensoren am 74. Breitengrad, war extrem aufwendig: Das Equipment, das auf schneebedeckte Felsen in 1000 Meter Seehöhe getragen werden musste, wog 250 Kilogramm.

Die beschwerliche Installation zahlt sich aus. Die Wetterstation liefert täglich Daten über die Windrichtung, die Windgeschwindigkeit, den Niederschlag, die Temperatur, die Feuchtigkeit und die Strahlung. Gleichzeitig nehmen die Kameras zweimal täglich Bilder der Gletscher und deren Schneebedeckung auf. Die Fotos und Daten werden dann mittels Satellit nach Graz und zur ZAMG übertragen. „Die Geräte müssen nur noch ein bis zweimal pro Jahr gewartet werden, sonst sind es autarke Stationen. Das ist wichtig, weil es viel zu teuer wäre, alle zwei Wochen dorthin zu fahren“, sagt Schöner.

Die aufgezeichneten Daten werden in den warmen Büros in Österreich bearbeitet. Das automatische Überwachungssystem ermöglicht den Forschern, von zu Hause aus, die Oberflächeneigenschaften der Gletscher zu beobachten. Zudem können sie gemeinsam mit den Messungen der Wetterstation die Gletscherschmelze berechnen und dadurch genauere Prognosemodelle erstellen. Schöner fasst zusammen: „Das Glacio-Live-Monitoring nimmt Gegenwärtiges auf, speichert Vergangenes und liefert wertvolle Informationen für Zukunftsszenarien.“

Zeugen des Naturschauspiels

In einem zweiten Projekt untersuchen die Forschungspartner die Prozesse regelmäßiger Gletscherausbrüche 30 Kilometer entfernt von den Forschungsstationen bei der A. P. Olsen Eiskappe. Dieser Gletscher bildet einen Eisdamm für ein kleines Seitental der Küste, in dem sich in der jährlichen Schmelzperiode ein türkis-blauer See bildet.

Der See entsteht jeden Sommer innerhalb eines Tages plötzlich: ein Naturschauspiel mit wissenschaftlichem Wert. Bereits Wochen zuvor messen die Forscher Phasen mit erhöhter Fließdynamik und seismischer Aktivität. Diese Phasen gingen mit den Schmelzereignissen einher. Inwieweit die erhöht gemessene Dynamik mit den parallel registrierten Schmelzereignissen zusammenhängt, ist eine noch offene Frage.

Der Freya-Gletscher und die A. P. Olsen Eiskappe gehören damit jedenfalls zu den wenigen regelmäßig vermessenen Gletschern der 2600 Kilometer langen Ostküste Grönlands. Die Forscher wollen die Daten jedoch nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft verwahren. Die Fotos der Kameras werden über eine Website jedem Interessierten zugänglich gemacht (siehe unten). „Wir wollen nicht nur einen Schritt für die Wissenschaft machen, sondern der Öffentlichkeit auch veranschaulichen, was durch den Klimawandel passiert“, sagt Schöner.

Die Öffentlichkeitsarbeit verstärkt ein Schulprojekt. Schüler des Technologischen Gewerbemuseums (TGM) Wien untersuchen gemeinsam mit den Forschern mittels Live-Monitoring Gletscher in Österreich: Im Sparkling-Science-Projekt Glacio-Live beobachten sie Gletscher in der Glockner- und Sonnblickregion. Die Schüler entwickelten dafür ein hochgebirgstaugliches Funknetzwerk zur Online-Anbindung aller Messstationen.

Kein Zweifel am Klimawandel

Für den Experten Schöner gibt es für den menschlich verursachten Klimawandel eindeutige Beweise. Gerade in Grönland lasse sich die Veränderung augenscheinlich beobachten. Die Gletscher ziehen sich rasant zurück und verlieren an Masse. „Wie stark der Rückgang ist und welche Prozesse dahinter stehen, ist nun Teil unserer Forschungsfrage“, sagt Schöner.

Die große Eisschmelze Grönlands hat auch globale Folgen. Verändert sich die Vergletscherungsfläche der Insel, verändert sich auch die Reflexion der Oberfläche. Denn die Strahlung, die von der Sonne kommt, wird von Schnee und Eis reflektiert. Bei einer anderen Oberfläche steht diese Energie der Erwärmung zur Verfügung. Schmelzen Grönlands Eispanzer weiter, steigt der Meeresspiegel um bis zu sechs Meter: Das stellt eine Gefahr für Küstenstädte dar.

Die Forscher werden den Klimawandel zwar nicht aufhalten; mit dem Monitoring-System wollen sie aber das Wissen über den klimabedingten Gletscherrückgang verbessern.

LEXIKON

Webcam auf Freya-Gletscher: www.foto-webcam.eu/webcam/freya1/Ein Monitoring-System ermöglicht es Klima- und Gletscherforschern durch automatische Wetter- und Massenbilanzmessstationen sowie automatische Kameras, die nur ein- bis zweimal jährlich gewartet werden müssen, direkt Daten aus bestimmten Gebieten zu sammeln und darzustellen. Die täglichen Informationen aus Grönland werden etwa mit Hilfe des weltumspannenden Satellitenkommunikationssystem Iridium, bestehend aus 66 aktiven Satelliten, in die Büroräume nach Österreich übertragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2016)

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