Wie Boko Haram vom Klimawandel profitiert

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TOPSHOT-NIGERIA-UNREST-ISLAMISTS-DISPLACED-FOODAPA/AFP/STEFAN HEUNIS
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Afrika und Europa. So verschieden die Kontinente sein mögen: Terror, Landflucht, Klimawandel und Migration sind Herausforderungen, vor denen sie beide stehen.

Wie verschieden Probleme doch erscheinen, wenn man sie aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet: Von manch europäischer Warte aus wirken junge Männer, die sich aus afrikanischen Staaten auf den Weg über das Mittelmeer machen, bedrohlich. „Für viele afrikanische Volkswirtschaften hingegen ist das ein Braindrain, eine Abwanderung der Talente“, erläutert Gerald Hainzl. Er forscht am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement des Österreichischen Bundesheeres.

Für die laufende Seminarwoche beim Europäischen Forum Alpbach hat Hainzl gemeinsam mit Kwesi Aning vom Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre in Accra (Ghana) einen Workshop konzipiert. Die beiden Wissenschaftler ziehen eine ungewohnte Parallele: Sie wollen „gemeinsame Herausforderungen der Europäischen und Afrikanischen Union“ aufarbeiten (Aning musste sein Alpbach-Teilnahme allerdings kurzfristig absagen). Als Arbeitsgrundlage dafür braucht es laut Hainzl eine differenziertere Betrachtungsweise vieler Kategorien und Begriffe: „Wir in Europa schauen auf der Landkarte ein Gebiet in Afrika an und färben dann beispielsweise die gesamte Demokratische Republik Kongo rot ein – weil es dort einen einzelnen Konflikt gibt. Dabei ist dieses Land etwa so groß wie Mitteleuropa.“

Die Afrikanische Union (AU) hat 54 Mitglieder (also beinahe doppelt so viele wie die EU-28) und nimmt viel Rücksicht auf diese nationale und ethnische Vielfalt. Freilich gibt es aber auch in dieser Union Koordinationsprobleme – „wie in Europa“, sagt Hainzl. Er sieht Terrorismus und Klimawandel als die beiden großen Herausforderungen, die AU wie EU betreffen.

China finanziert Nigerias Bahn

Doch gibt es auch gemeinsame Interessen: Handel oder Abbau, Förderung und Verarbeitung von Rohstoffen. „Wir vergessen oft: Es gibt mit China, Indien oder Brasilien auch andere Staaten, die in Afrika Interessen haben.“ China investiere derzeit massiv in den Ausbau des Schienenverkehrsnetzes in Nigeria, berichtet Hainzl.

Er zeigt auf, wie komplex manche Konflikte sind, die wir aus der Ferne gern schwarz-weiß malen, wohl auch, um sie medial besser oder greifbarer vermitteln zu können. Als Beispiel nennt er den Südsudan, der sich 2011 vom Sudan lossagte: „Wir sehen den nördlicheren Sudan islamisch, den Südsudan als christlich. Die Religionen müssen da in der Kommunikation als Vehikel herhalten. Aber das ist eine stark vereinfachte Erklärung. Bei diesen Konflikten geht es um Fragen der Identität, um ökonomische und Machtfragen“, so Hainzl.

1,2 Milliarden Konsumenten

Auch der Klimawandel spiele in solchen Konflikten eine immer größere Rolle: „Die Terrororganisation Boko Haram hätte nicht diesen Zulauf, wenn der Tschadsee (im Grenzgebiet zwischen Tschad, Kamerun, Nigeria und Niger, Anm.) in den vergangenen Jahren nicht deutlich geschrumpft wäre“, sagt Hainzl. Das entzog den dortigen Fischern die Lebensgrundlage und führt häufig zu Klimamigration. „Dann stellt sich die Frage: Gehen sie weg? Bleiben sie?“

Hainzl geht es um ein vielfältiges Afrikabild, das alte Klischees widerlegt: „In vielen afrikanischen Ländern entstehen gerade kaufkräftige Mittelschichten – Afrika ist ein Markt mit 1,2 Milliarden Konsumenten. Wir sollten die Möglichkeit zu einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe nützen.“ (trick)

LEXIKON

Klimamigration, die Abwanderung von Menschen aufgrund veränderter Klimaverhältnisse, führt auf dem afrikanischen Kontinent nicht nur nach Europa oder in sogenannte Megacitys wie Lagos, Johannesburg oder Nairobi. Sie betrifft auch kleinere Städte mit 20.000 bis 30.000 Einwohnern. Der Zuzug dort beträgt oft zehn bis zwölf Prozent der Bevölkerung und wirkt sich somit auf Verwaltung (Abfall, Wohnraum) und Wirtschaft (Versorgung, Arbeit) aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2016)

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