Ein Provokateur unter den Technikern

Jens Dangschat
Jens Dangschat (c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Der Soziologe Jens Dangschat hat die Wiener Techniker ein Stück weit gelehrt, weniger schwarz-weiß zu denken. Er schont aber auch seine Disziplin nicht: Sie verfalle lieber in larmoyantes Gejammer, als die eigene Situation zu ändern.

Die Presse: Sie arbeiten seit bald zwei Jahrzehnten als Soziologe an einer technischen Universität. Gab es da anfangs nicht auch Gegenwind?

Jens Dangschat: Ich habe in der Raumplanung begonnen und mein Engagement dann auf die Architektur ausgeweitet. Am Anfang standen die Studenten da und konnten damit wenig anfangen. Bis heute ist das Verhältnis sehr ambivalent. Einigen war es viel zu viel, und andere sagten: Genau das ist es, was wir wissen müssen, um gut arbeiten zu können.

Wo scheiden sich die Geister zwischen Technikern und Sozialwissenschaftlern?

Techniker sind eindeutige Antworten gewohnt. Aber der Soziologe liefert solche nicht. Er bietet Reflexionen darüber, was kritisch zu beachten ist. Bauingenieure und Elektrotechniker diskutieren meist im Denkmodell einer eindeutigen Logik. So sind ihre Fragen und Antworten. In gemeinsamen Diskursen habe ich ganz andere Fragen gestellt und vor allem keine eindeutigen Antworten gehabt. Damit habe ich erst einmal alles durcheinandergebracht. So entstehen aber auch ganz andere Sichtweisen, abseits des Determinismus.

Hat die Wissenschaft generell ein Vermittlungsproblem?

Generell nicht, aber dort, wo die Wissenschaft nahezu ausschließlich mit mathematischer Logik denkt: weil das nicht dem Denken im Alltag entspricht. Dort geht es nicht um Rationalität, sondern meist um sehr viel Emotionalität.

Wie sehen Sie Citizen Science, also das Engagement von Bürgern in der Forschung?

Das sind Spielplätze für bestimmte soziale Gruppen. Dort stehen Spaß und Kreativität an erster Stelle und erst an zweiter, dass es ein ökonomisch verwertbares Ergebnis gibt. Das ist aber wichtig für das Entstehen einer Kreativkultur – natürlich darf es auch ökonomisch verwertbar sein.

Sie haben bei den Alpbacher Technologiegesprächen darüber diskutiert, ob wir Menschen mit dem technischen Fortschritt noch mithalten können oder die Getriebenen sind. Ihr Resümee?

Zunächst einmal: Die Menschen gibt es nicht. Es gibt etwa eine jüngere, besser gebildete Generation. Die kann sehr gut mithalten. Das ist wie beim Wellenreiten: Es gibt Leute, die Lust darauf haben und das können. Während andere, denen diese Fähigkeiten fehlen, viel unter Wasser sind.

Kein schönes Bild.

Es gibt immer Gruppen, Regionen oder Ökonomien, die bessere Chancen haben als andere. Es gibt aber auch Leute, die eine völlig neue Chance darin sehen, wenn durch die Digitalisierung die Kompetenz der 25- bis 35-Jährigen zur Leading-Kompetenz wird und nicht mehr in erster Linie das Alter, die Lebenserfahrung, zählt.

Kann die Soziologie Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit liefern?

Sie muss sich zuerst einmal selbst besser aufstellen. Viele Soziologen sind weit weg von der Realität. Sie machen aus Büchern wieder Bücher, von denen sie nicht wissen, wer sie liest. Wenn sie schon im September kein Geld mehr haben – was leider an manchen Universitäten Realität ist – verfallen sie lieber in larmoyantes Gejammer über die eigene Situation, als den Stellenwert ihrer Arbeit zu überdenken. An der TU kann ich als Soziologe Forschungsgelder ganz anders einwerben als an einer Uni. Dazu muss man sich nur trauen, als Wurmfortsatz des naturwissenschaftlichen Denkens zu wirken und Bewusstsein für andere Sichtweisen zu wecken. Gerade als Soziologen dürfen wir nicht nur auf unseren Bauchnabel gucken. Warum werden MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik, Anm.) anders gefördert als geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer? Da muss man aufstehen und sagen: Eigentlich sind wir besser geeignet, die aktuellen Sachverhalte zu durchschauen.

Sie starten jetzt ein Projekt zum autonomen Fahren. Wo liegt der Fokus aus soziologischer Sicht?

Die Daimler-und-Benz-Stiftung hat uns damit beauftragt, zwei Jahre lang darüber nachzudenken, was das mit der europäischen Stadt macht. Was heißt das für die Architektur, was für die Stadtgesellschaft? Dafür bekommen wir eine Million Euro. Wir betrachten das nicht von der Seite der Autos und der Technologien, sondern von der städtebaulichen und gesellschaftlichen Seite. Aber natürlich müssen wir in einem zweiten Teil diese Diskurse öffnen und den Technikern auch mitteilen: Eure Optimierung von bestimmten Dingen wirkt sich so und so aus.

Was kann das konkret heißen?

Es kann etwa auch eine Rolle spielen, dass jemand keine Lust hat, gefahren zu werden. Wir haben noch immer so männliche Bilder wie: Ich sitze am Steuer, meine Frau sitzt daneben. Wenn jetzt plötzlich diejenigen, die am Steuer sitzen, zu Gefahrenen werden, muss man erst einmal sehen, was das mit den Menschen macht. Das schränkt die Freiheit der Mobilität auf neue Art ein. Wir brauchen dann auch eine neue Wertigkeit beim Image von Autos – oder am besten natürlich eine viel differenziertere Benutzung des Autos.

Keiner kann vorher wissen, ob eine Entwicklung Vorteile bringt.

Deswegen kann man Leute auch nicht kritisieren, die das Gefühl haben, dass ihnen eine neue technologische Entwicklung Nachteile bringen könnte. Und auch der Versuch, ihnen alles positiv zu schildern, sie also über den Tisch zu ziehen und auf diese Weise Nestwärme zu erzeugen, muss scheitern.

Sie sind Deutscher, leben aber schon lange in Österreich. Ein wenig klischeehaft gefragt: Gehen die Österreicher anders mit Veränderungen um?

In Wien ist man oft wenig offen für die Zukunft. Man lebt noch immer in der Haltung: „Was gestern gut war, wird morgen auch gut sein.“ Ich war lange in Hamburg, eine Kaufmannsstadt. Wien ist noch immer ein Stück weit eine feudale Stadt. Vergleicht man die Leitsprüche, heißt es in Hamburg: „Geht nicht, gibt's nicht.“ Es geht um ökonomisches Denken. In Wien heißt es: „Wenn es ginge, hätten wir es schon gemacht.“ Die Österreicher leben stark von ihren Routinen.

ZUR PERSON

Jens Dangschat (68) stammt aus Wiesbaden, Deutschland. Er studierte Soziologie, VWL, Psychologie, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Hamburg, wo er ab 1992 als Professor die Forschungsstelle für vergleichende Stadtforschung leitete. Seit 1998 ist er Professor für Siedlungssoziologie und Demografie an der TU Wien. Dort emeritiert er in fünf Wochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2016)

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