Langzeitgedächtnis schützt vor Naturkatastrophen

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MEXICO-SPRING-EQUINOX-DZIBILCHATUN(c) APA/AFP/ALEJANDRO MEDINA
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Bei Modellen für Hochwasser oder Dürre soll man stets das Verhalten der Gesellschaft mitberechnen, betonen Wasserbauer der TU Wien. Sie zeigen nun, dass Wasserknappheit die Maya-Kultur zerstört haben könnte.

Wer in Österreich von Wasser und Naturkatastrophen spricht, denkt zuerst an Hochwasser. In anderen Ländern bedrohen aber Dürreperioden die Bevölkerung, auch dort muss man vorausdenken, wie man sich gegen bevorstehende Gefahren rüstet. Das vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Doktoratskolleg Wasserwirtschaftliche Systeme an der TU Wien hat beide Szenarien im Fokus. Unter der Leitung von Wasserbauprofessor Günter Blöschl finden die internationalen Dissertanten immer mehr Zusammenhänge zwischen dem, wie eine Gesellschaft mit Wasser umgeht, und dem, wie sich die Gesellschaft entwickelt.

„Ein Blick auf die unmittelbar bevorstehende Situation ist meist nicht genug“, sagt Blöschl. Prognostizieren etwa Klimamodelle, dass es in Österreich durch den Klimawandel um zehn Prozent mehr Niederschläge geben wird, heißt das nicht automatisch, dass man mit zehn Prozent mehr Überflutungen rechnen muss. „Vielmehr muss man die Reaktionen der Gesellschaft auf die Veränderungen mitberechnen“, sagt Blöschl.

Mehr Schaden mit Damm

Nach einem Hochwasser werden die Dämme entlang der Flüsse verstärkt, daraufhin siedeln sich dort Leute an, die sich hinter dem Damm sicher fühlen, weiters entsteht dort teure Infrastruktur. „Doch bei einem mehr als 100-jährlichen Hochwasser reicht auch der Damm nicht, und dann wird an dieser Stelle viel mehr Schaden angerichtet, als hätte man den Schutzdamm nicht errichtet“, erklärt Böschl die Ergebnisse des Fachbereichs Soziohydrologie.

Um genau diese Koppelung zwischen Gesellschaft und Wasserwirtschaft ging es auch in der Doktorarbeit von Linda Kuil. Sie wählte als Fallbeispiel jedoch die klassische Periode der Maya-Kultur im Golf von Mexiko, die im neunten Jahrhundert jäh zu Ende ging. „Die Maya-Kultur eignet sich gut für unsere Rechenmodelle, da die Gesellschaftsstruktur noch überschaubarer war. Es gab keine globale Wirtschaft“, sagt Blöschl. Zudem sind die Archive über die Maya-Kultur gut gefüllt.

Die gebürtige Niederländerin Kuil verglich die anthropologische Literatur mit Isotopenanalysen der Paläoklimatologie. Das bedeutet, dass sie Informationen, wie die Maya gelebt haben und welche Technik für die Wasserversorgung entwickelt wurde, dem gegenübergestellt hat, was aus chemischen Analysen etwa aus Tropfsteinhöhlen bekannt ist: Wie viel Regen gab es in jedem Jahr damals? „So konnten wir mathematisch nachbilden, wie die Gesellschaft der Maya in Hinblick auf Wasserwirtschaft funktioniert hat. Vor allem die Bevölkerungsanzahl war hier relevant“, erklärt Blöschl.

Das Hauptnahrungsmittel der Maya war Mais: Je mehr Menschen es gab, die sich noch an Dürrezeiten erinnern konnten, umso eher wurden Wasserreservoirs gebaut, die die Maisfelder in trockenen Zeiten bewässern können. Kuil fand nun heraus, dass diese Reservoirs dazu führten, dass die Bevölkerung auch in normalen Dürrezeiten weiter wuchs, da stets genug Nahrung da war.

Hungersnöte nach Dürre

Doch auf extreme Ereignisse waren die Maya nicht vorbereitet. „Bei einer langfristigen Dürre wurden die Reservoirs leer und es kam zu großen Hungersnöten, die Unruhen und Auswanderung zur Folge hatten“, sagt Blöschl. Hart gesagt, starben bei langfristigen Dürren also mehr Menschen, als hätte es keine Reservoirs gegeben und wäre die Bevölkerung nicht so stark gewachsen.

„Die Wasserreservoirs machten die Maya verletzlich für lang anhaltende Dürren. Für uns heute bedeutet das, dass man stets einen breiten Blick haben muss auf langfristige Entwicklungen“, betont Blöschl. Man brauche also ein Langzeitgedächtnis, das in Jahrhunderten denkt, um Hochwasser- und Dürreschutz zu praktizieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2016)

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