Archäologie: Die Hoffnung für Ephesos ist noch nicht begraben

 Seit 1895 holen österreichische Forscher Schätze aus der Erde, links die Celsus-Bibliothek, rechts das Südtor der Agora.
Seit 1895 holen österreichische Forscher Schätze aus der Erde, links die Celsus-Bibliothek, rechts das Südtor der Agora.(c) APA (KRACHLER Harald)
  • Drucken

Die Grabungen in Ephesos haben immer wieder unter Wendungen der Weltpolitik zu leiden. Der Abbruch der Aktivitäten muss nicht das Ende des Projektes bedeuten.

„Ich rechne ehrlich gesagt nicht damit, dass jetzt alles zu Ende ist.“ Zuversichtlich reagiert Sabine Ladstätter, Leiterin der Grabungen in Ephesos, auf die Frage der „Presse“ nach der Zukunft des ehrwürdigen Projekts, das seit 1895 unter österreichischer Führung läuft. In der Vorwoche war es abrupt zum Erliegen gekommen. Erst meldete eine türkische Presseagentur, das internationale Team habe seine Tätigkeit zu beenden, dann wurde auch Ladstätter per Mail und dann per Brief vom türkischen Kulturministerium davon verständigt: „Es war ein richtiger Schock, den ich selbst körperlich gespürt habe.“ Sie überwand ihn und flog von Wien in die Türkei, um zu retten, was zu retten ist.

Das sind zum einen Erhaltungs- bzw. Einlagerungsarbeiten für das in dieser Saison aus der Erde Geholte, es sind auch die Studenten und Doktoranden bzw. das Material, das sie auswerten. Die Grabung selbst ist nicht betroffen, sie wurde ohnehin wie jedes Jahr Ende August eingestellt. Das liegt schlicht am Wetter bzw. am Klima, aber die offiziell verfügte Einstellung der Arbeiten hat natürlich auch mit dem metaphorischen Klima zu tun, dem, das derzeit die Beziehungen zwischen Österreich und der Türkei in Turbulenzen bringt. Präzedenzlos ist die atmosphärische Störung nicht, die Archäologin hat ein berufsbedingt gutes Gedächtnis und wies schon früher darauf hin, dass die Grabungen in Ephesos immer wieder unter Wendungen der Weltpolitik zu leiden hatten.

Das erste Aus kam 1908

Das erste Mal kam 1908 ein Aus: Österreich-Ungarn hatte Bosnien-Herzegowina annektiert, viele Staaten protestierten, auch das Osmanische Reich schloss sich an, boykottierte österreichische Waren und zog die Grabungslizenz zurück. Sie kam wieder, aber dann kam der Erste Weltkrieg, erst 1926 konnten die Forscher ihre Arbeit fortsetzen. Dann kam der Zweite Weltkrieg, wieder lag alles still, diesmal bis 1956. Da waren die Österreicher wieder da, Grabungsleiter Franz Miltner gab die Richtung vor: Es gehe darum, „die Stadt vom Schutt zu befreien und ihr prachtvolles, kaiserzeitliches Erscheinungsbild wieder herzustellen“. Gemeint war die römische Periode, der darüberliegende „Schutt“ – byzantinischer – interessierte Miltner nicht, und der darunterliegende schon gar nicht, die Siedlung wurde in der Bronzezeit gegründet.

Aber die Archäologie ist nicht nur den Wandlungen der Politik unterworfen, sie hat auch eigene Moden: Als erster Ausgräber kam 1863 der englische Eisenbahningenieur John Turtle Wood, er war hinter einem der sieben Weltwunder her, dem Tempel der Artemis, er fand ihn auch, aber in schlechtem Zustand, zudem ging ihm das Geld aus, er musste sein Unternehmen abbrechen. In den 1890er-Jahren übernahmen dann die Österreicher – Ephesos ist bis heute das Aushängschild der heimischen Archäologie –, es ging um Prunkbauten wie die Celsusbibliothek, erst viel später auch Profanes wie Bauten im Hafengebiet: Ephesos, heute weit weg vom Meer, lag einmal direkt an der Küste, aber die wanderte weg – Flüsse brachten Sedimente –, die Bewohner mussten folgen und die Stadt immer wieder neu bauen. Das bringt Ausgräbern den Vorteil, dass viele frühe Zeugnisse von späteren nicht überbaut bzw. begraben wurden.

Den Ephesern galten alle Toten gleich

Aber römische Viertel lagen partiell unter Gerümpel, so dachte die Archäologie in den 1950er-Jahren. Die Bewohner von Ephesos dachten anders, das merkten die Ausgräber, als auch sie anders zu denken begannen, von der Jagd nach Prunk abrückten und sich Alltäglichem zuwandten, in der Grabungssaison 2008 etwa einem Friedhof: Dort ruhten viele Skelette übereinander, manche aus der Zeit des Artemis-Kults, manche aus der christlichen Periode: Den Ephesern galten alle Toten gleich, sie räumten die früheren nicht weg, auch wenn die anderen Glaubens waren.

So kann man auch das gegenwärtige Interesse der Archäologie umschreiben: Sie ist nicht länger hinter Schätzen her – natürlich froh, wenn sie einen findet wie 2008 in Ephesos: einen Goldring mit einer Gemme der Artemis –, hinter Schätzen sind andere her: Fast im ganzen Nahen Osten, dem traditionellen Schwerpunkt der internationale Archäologie, herrschen Krieg oder Plünderungen von Kulturgütern, oft beides zusammen: Die Altertümer müssen Waffen finanzieren.

Sicher ist gerade noch die Türkei, um so schmerzlicher die jetzige Situation. Man darf für und mit Ladstätter hoffen, dass das Weltkulturerbe – Ephesos erhielt 2015 den Ehrentitel der Unesco – nicht Touristen zugänglich bleibt, sondern auch Forschern. Weisen wird es sich, wenn der jährlich zu stellende Antrag auf Grabungslizenz im türkischen Kulturministerium eingeht – und die Rahmenbedingungen passen: „Die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern, also Österreich und der Türkei, müssen sich wieder verbessern. Dann sehe ich durchaus optimistisch in die Zukunft.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Ephesos-Grabungsleiterin Sabine Ladstätter.
Wissenschaft

"Man darf jetzt nicht das Nationale herausstreichen!"

„Die Tür ist für alle Wissenschaftler offen. So soll es auch bleiben!“, sagt Ephesos-Grabungsleiterin Sabine Ladstätter.
ARCHIVBILD: �STERREICHISCHE ARCH�OLOGEN M�SSEN GRABUNGEN IN T�RKEI BEENDEN: SABINE LADSTAETTER
Wissenschaft

Grabungsstopp in Ephesos: Wissenschafter "fassungslos"

Das türkische Außenministerium hat die Grabungen aufgrund der diplomatischen Spannungen mit Österreich einstellen lassen. Bereits 1908 gab es einen Grabungsstopp.
Weltjournal

Österreicher müssen Grabungen in Türkei beenden

Grund für den Stopp sind die Spannungen zwischen Wien und Ankara. Die Grabungen in Ephesos haben eine über 120-jährige Geschichte.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.