Ein digitales Flipchart, das Blinde lesen können

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Wie blinde Personen besser an Besprechungen teilnehmen können, erforschen Wissenschaftler in einem Projekt des Linzer Instituts „Integriert Studieren“. Es ist das weltweit erste Forschungsvorhaben in diese Richtung.

Oft ist es nur ein Augenverdrehen, eine Mundbewegung, ein zustimmendes Nicken oder ein heftiges Kopfschütteln. Die Beispiele für nonverbale Kommunikation in Besprechungen reichten bis dahin, dass jemand fast einschläft, sagt Klaus Miesenberger vom Institut Integriert Studieren der Johannes-Kepler-Universität in Linz. Mimik, Gestik und Körpersprache, die blinde Arbeitskollegen in den vielen Meetings, die das Arbeitsleben prägen, nicht mitbekommen. Zudem sind Arbeitstreffen ohnehin sehr visuell ausgestaltet.

Wie gelingt es, dass wirklich alle mitarbeiten können? Das untersuchte das Team rund um den Projektleiter Miesenberger gemeinsam mit Forschern der ETH Zürich und der TU Dresden. „Das ist wissenschaftliches Neuland“, sagt Miesenberger über die Studie, die im Frühjahr erste Ergebnisse zusammenfasste. Laut dem Forscher ist es das weltweit erste Forschungsvorhaben zu dieser Frage.

Das Wissenschaftlerteam erarbeitete, wie sehbehinderte Menschen die Zusammenhänge bei einem Treffen verstehen und mitgestalten können. Üblicherweise gibt es Folien oder eine Mind-Map, man schreibt an einer Tafel oder an ein Flipchart. Alternativ entwickelte man im Projekt als Forschungsszenario eine Brainstorming-Sitzung mit barrierefreien Mindmaps auf einem Touchtable.

Notizen einfach eintippen

Dort tippt man auf einer Tastatur, was man üblicherweise zum Beispiel auf einem Plakat notiert hätte. Das Programm wandelt die Informationen in eine digitale Baumstruktur um und macht es für Blinde auf ihren gewohnten assistierenden Technologien – Screen-Reader, Braille-Display, Sprachausgabe – lesbar.
Die geschriebene Information zu erfahren, reicht aber freilich nicht aus. „Das Wissen entsteht ja durch die Diskussion“, sagt Miesenberger. Um den Austausch zu erleichtern, mussten die Besprechungsteilnehmer vor allem eines beachten: Bitte sprechen Sie alles aus, worauf Sie zeigen! „Wir haben versucht, die Gesten zu ,tracken‘, also nachzuverfolgen, und auf das Touchdisplay zu bringen“, erklärt der Forscher.

Schwierig übersetzbar wird es, sobald die sprechende Person vom Tisch weggeht. Dann wird die Gestik nicht mehr aufgezeichnet. „Außerdem explodiert die Info, sobald es zu einem intensiven Austausch mehrerer Personen kommt. Das überlastet blinde Kollegen.

Das sogenannte Reasoning soll das verhindern. Damit gemeint ist eine Art Filter mit Spracherkennung, der nur wichtige Gesten weitergibt und in den Kontext zu dem stellt, was jemand gesagt hat. Es unterstützt und steuert die Aufmerksamkeit. Zusätzlich arbeiteten die Forscher im Testszenario mit Magneten, die von allen zur Visualisierung verschoben werden – so, als würde man Post-Its an eine andere Stelle setzen. Auch das verzeichnet die digitale Mind-Map.

Einladung zum Weiterforschen

„Mit diesen drei Punkten haben wir eine gelungene barrierefreie Arbeitssituation geschaffen“, sagt der Projektleiter. Die Ergebnisse verstehen sich als Einstieg, Einladung und Motivation zu intensiver Forschung zu Barrierefreiheit in nonverbaler Kommunikation. Zwar gibt es noch keine eigene Softwarelösung, aber man könnte Prototypen auch als Add-Ons zur bestehenden Software entwickeln.

„Wir haben untersucht, wie so ein Prototyp aussehen müsste und stellen unsere Ergebnisse als Open Source zur Verfügung“, sagt Miesenberger. (juf)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2016)

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