3-D: Mit Spaghetti Kunst greifbar machen

Das 3-D-Modell des „Bildnis des ferraresischen Hofnarren Gonella“ ist bereits im KHM Wien zu betasten.
Das 3-D-Modell des „Bildnis des ferraresischen Hofnarren Gonella“ ist bereits im KHM Wien zu betasten. (c) Andreas Reichinger
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„Bitte gern berühren“ könnte es künftig in Museen heißen: Denn mit Modellen aus dem Nudeldrucker lassen sich Bilder ertasten. Techniker verbessern das Angebot für Blinde und Sehende.

Presst man seine Hand in feine Metallstiftchen, entsteht auf der Rückseite ein dreidimensionaler Abdruck. Es ist dieses Bürospielzeug aus den 90er-Jahren, Pin Art genannt, das Andreas Reichinger auf die Idee und schließlich zu seiner Erfindung brachte. Der Forscher arbeitet am Wiener Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung (VRVis), einem von Wissenschafts- und Technologieministerium geförderten Kompetenzzentrum. Im EU-Projekt AMBAVis möchte er Kunstwerke in eine taktile, also ertastbare, Form umsetzen. In Zukunft soll man also die berühmten Gemälde unserer Galerien auch ertasten können.

Nicht nur für blinde und sehbehinderte Besucher, sondern im Sinne eines Designs für alle sind Tast-Objekte eine Bereicherung. Die ersten beiden Beispiele stellt das Kunsthistorische Museum in Wien bereits aus: Raffaels „Madonna im Grünen“ und das „Bildnis des ferraresischen Hofnarr Gonella“ von Jean Fouquet erfühlen Besucher direkt vor den Originalen. „Das Museum hat sich gefragt: ,Wie können wir andere Zielgruppen ansprechen, für die visuelle Kunst schwer zugänglich ist‘“, erzählt Reichinger. „In Italien gibt es Bildhauer, die händisch Reliefs für blinde Menschen machen“, sagt er. „Ich bin kein Bildhauer, aber das hat mir gefallen.“

Digital in Form kommen

Zu einer Form kommt man auch computergestützt: digital designt, mit einem 3-D-Drucker schichtweise aufgebaut oder mit einer CNC-Fräse aus einem Kunststoffblock geschnitzt. Das Ganze ist nicht nur langwierig, sondern auch teuer und verursacht viel Staub. Für ein Dauerobjekt eignet sich diese Methode durchaus, doch Andreas Reichinger hat Größeres vor: „Es wäre toll, wenn man das Relief in 20 Minuten und temporär herstellen könnte, sodass das Material wiederverwendet wird und man immer wieder neue Kunstwerke ertasten kann“, dachte er sich. „Ich habe mich an meine Kindheit zurückerinnert, und da fiel mir dieses Pin-Art-Spielzeug ein.“ Damit lässt sich eine Form herstellen, aber auch wieder verändern.

Um die Auflösung zu verbessern, braucht man das Vielfache an Nägelchen, aktuell 31.469 Pins. Weil die Plastikstäbe in Modellbaushops nicht gerade günstig sind, kam Reichinger auf die Idee, Spaghetti zu verwenden. Diese kommen ebenso aus einer Strangpresse und werden hängend getrocknet. Dadurch werden sie ganz gerade. Für den ersten Prototyp brach er 91 Stück Spaghetti, bearbeitete sie mit Schleifpapier und band sie zu einem Bündel zusammen. Im Baumarkt kaufte er Winkel, in die er die Spaghetti schlichtete. Es klappte nicht richtig, er legte die Arbeit ad acta.

Fünf Jahre später holte er die Idee wieder hervor, perfektionierte das System mit feineren Nudeln, jetzt mit Lasercutter geschnitten, und schaffte es so, die Wabenstruktur stabil zu halten. „Für einen Prototyp muss man einiges in Kauf nehmen“, sagte er sich, während er zwei Wochen lang Nudeln in einen Silikonrahmen schlichtete. „Das war ein schöner Moment als die Fläche glatt geschliffen vor mir lag.“ Der Nudeldrucker war geboren.

Einen Negativabdruck machen

Doch das ist erst der Anfang: „Wir können momentan nur existierende Reliefs abformen“, meint Reichinger. „Und theoretisch könnte man die Form füllen und so einen Negativabdruck gewinnen“ – ein Detail, das vielleicht noch für die Industrie interessant wird. Das nächste Ziel ist aber eine Maschine, die die Pins, also in diesem Fall die Spaghetti, computergesteuert verschiebt. Zukünftig soll der Reliefdrucker immer wieder neue Bilder vom Computer direkt in zehn, vielleicht zwanzig Minuten greifbar machen.

Modelle im Museum könnte man außerdem noch interaktiv gestalten: Mit Stoffproben und Audiokommentar. Erste Ergebnisse gibt es schon bald im Wiener Belvedere zu entdecken.

In Zahlen

91 Spaghetti wurden für den ersten Prototyp des Nudeldruckers zu einem Bündel zusammengefasst.

31.469 Pins, also Nägelchen oder eben Spaghetti, braucht es für eine bessere Auflösung der dreidimensionalen Modelle von Bildern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2016)

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