Kleben, um zu überleben

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Bionik. Im Tierreich hält, was halten soll. Die Beute des neuseeländischen Glow Worm etwa haftet an Klebefäden, mit denen dieser angelt. Die Erfolgsrezepte aus der Natur könnten sich auch für Medizin und Industrie nutzen lassen.

Die Natur zeigt vor, wie es geht. „Anders als bei den Briefumschlägen für die Bundespräsidentschaftswahl halten die Klebstoffe bei Tieren“, sagt der Zoologe Janek von Byern von der Uni Wien. Und das auch für längere Zeit. Miesmuscheln oder Seepocken – eine Krebsart – etwa nutzen eine zementähnliche Substanz, um für den Rest des Lebens an einem Stein zu haften. Der Kleber ist sehr hart. Er diente bereits als Vorbild für Knochenklebstoff oder als Klebstoffbestandteil, mit dem sich die Fruchtblase der Frau nach einer Schwangerschaftsuntersuchung wieder verschließen lässt.

Natürliche Klebstoffe unterscheiden sich von künstlichen in Inhalt und Aufbau. Letztere sind biologisch teilweise nicht abbaubar und manchmal giftig. „Alternativen aus der Natur bieten sich daher für medizinische Anwendungen an, etwa, um Wunden zu verschließen“, erklärt von Byern, der auch am Ludwig-Boltzmann-Institut für experimentelle und klinische Traumatologie tätig ist. Allerdings weiß man bis heute nur wenig darüber, wie sie funktionieren.

Aus der Hängematte abpassen

Von Byern hat eben ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt abgeschlossen, in dem er die Zusammensetzung des Klebstoffs des neuseeländischen Glow Worm (Aranchnocampa luminosa)untersucht hat. Dieser jagt seine Beute mit bis zu 40 Zentimeter langen Fäden, an denen klebende Tropfen hängen. Diese befestigt er von einer Art Hängematte aus an der Decke im Höhleninneren und angelt von dort aus seine Beute.

Die Namensähnlichkeit zum Glühwürmchen (das eigentlich ein Käfer ist) ist zufällig. Die Bezeichnung Glow Worm (auch dieser ist kein Wurm, sondern die Larve einer Pilzmücke) rührt daher, dass sie kleine Insekten mit einem Licht am Hinterteil anlockt. Und da Glow Worms zu Tausenden im Finsteren leben, ergibt das ein beeindruckendes Bild. „Die von der Decke hängenden Tiere leuchten wie ein Sternenhimmel“, schildert von Byern. Daher interessierten sich die meisten Forscher vor ihm auch in erster Linie für das Licht: „Alle haben den Tieren immer auf den Hintern geschaut“, sagt er. Die tierischen Klebstoffe auf den Fäden blieben unbeachtet.

Bis von Byern, der ursprünglich zwei bis drei Zentimeter große thailändische Zwergtintenfische, die auf Mangrovenblättern haften, untersucht hat, sie erstmals in einer britischen Tierdokumentation gesehen hat: Sein Interesse war geweckt. Gemeinsam mit Diplomandin Victoria Dorrer vom Institut für Chemische Technologien und Analytik der TU Wien reiste er nach Neuseeland. Die beiden Forscher seilten sich mit der 20 kg schweren Ausrüstung ab und nahmen in der Tiefe Proben der Klebefäden. Diese zu untersuchen gestaltete sich anfangs schwierig: Denn sie verklebten die Apparate der Forscher.

So entschlüsselten sie Stück für Stück, wie sich der Klebstoff zusammensetzt, den die Larven über den Mund ausscheiden. Das überraschende Ergebnis: Der Kleber der Glow Worms besteht zu 99 Prozent aus Wasser, der winzige Rest vermutlich großteils aus Urea. „Wir gehen davon aus, dass Harnstoff ein wichtiger Bestandteil ist“, sagt von Byern. Auch die Industrie nutzte diesen bereits für Klebstoffe: „Unsere Entdeckung zeigt, dass die Tiere das längst erfunden haben, bevor die Industrie gekommen ist.“

Die Kleberezeptur der Larven gibt aber dennoch weiter Rätsel auf: Man habe kaum Proteine und keinen Zucker gefunden; es müsse aber noch einen Stoff geben, der Urea und Wasser bindet, mutmaßt von Byern. Die weitere Forschung soll ihn nach Jamaika führen. Denn dort lebt Neoditomya farri, eine Mückenart, die zwar kein Licht und keine Tropfen, aber ebenfalls klebende Fäden produziert.

Muscheln machen Superkleber

Wird sein neues Projekt genehmigt, erwarten ihn dort jedenfalls neue Herausforderungen, denn: Jeder Klebstoff sei einzigartig, unterscheide sich in Inhalt, Struktur und Funktion, sagt er. Manche klebten nur unter Wasser, manche nur im Trockenen. Bei Muscheln dauere es etwa eine halbe Stunde, bis der wasserfeste Superkleber hält. Das Hautsekret einiger Salamanderarten, wie etwa des Marmorquerzahnmolchs, wirkt wiederum wie Sekundenkleber: Die Tiere produzieren in ihren Hautdrüsen Stoffe, mit denen sie Räubern den Mund zukleben. Das soll sie davor schützen, selbst gefressen zu werden.

Auch Nacktschnecken produzieren Klebstoffe, die Haftkraft ihres Schleims will von Byern nun in einem bei der Forschungsförderungsgesellschaft FFG beantragten Netzwerkprojekt untersuchen. Auch hier gehe es darum, die Klebstoffe für die Industrie nachzukochen, sagt er. Sein vorrangiges Ziel bleibt aber, nach dem Vorbild der Natur gesundheitlich unbedenkliche Kleber zu schaffen.

LEXIKON

Die Bionik nutzt Erkenntnisse aus der Biologie für die Technik. Verfahren und Prinzipien aus der Natur sollen zu neuen, besseren industriellen Anwendungen führen. Als historischer Begründer wird oft Leonardo da Vinci genannt: Er analysierte Vogelflügel und wollte sie als Vorbild für Flugmaschinen für den Menschen nutzen.

Biomimetisch bedeutet, dass biologische Strukturen, Formen, Baupläne oder Prozesse imitiert werden. Paradebeispiel ist der von Klettenpflanzen inspirierte Klettverschluss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2016)

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