Hirninfarkt: Therapie mit Computer und Katheter

(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Schlaganfall. Ein brandneues Rehabilitationssystem soll Patienten wieder beweglicher machen. Bei großen Hirninsulten kann eine operative Entfernung des Gerinnsels die Rate von Todesfällen und Behinderungen deutlich senken.

Fast 20 Jahre lang konnte die 55-jährige Oberösterreicherin Anita P. kein Brot halten, um sich eine Scheibe davon abzuschneiden. Schuld war eine Spastik der linken Hand nach einem Schlaganfall. Jetzt, nach nur 25 Behandlungen, geht das wieder. Das Zauberwort heißt Recoverix, ein spezielles Rehabilitationssystem für Schlaganfallpatienten. Diese österreichische Entwicklung basiert auf Brain Computer Interface (BCI, Verbindung zwischen Gehirn und Computer) und wird am 19. September bei der Eröffnung des Zentrums für Neurotechnologie im oberösterreichischen Schiedlberg offiziell vorgestellt.

„Derzeit machen wir eine Studie mit Schlaganfallpatienten, bei denen das Ereignis zwei Monate bis 30 Jahre zurückliegt“, berichtet die Physiotherapeutin Manuela Zehetner. Neben Frau P. und vielen weiteren hat auch die 30-jährige Bettina R. profitiert. Sie konnte ihre linke Hand nach einem Hirninsult vier Jahre lang überhaupt nicht bewegen. Heute gelingt ihr das wieder, „nahezu perfekt“, sagt sie. Auch andere Patienten zeigen motorische Verbesserungen. Zehetner: „Manche schon nach vier, fünf Behandlungen.“

Gelähmte Hand bewegt sich

„Das System kombiniert drei Therapieansätze“, erklärt Christoph Guger, Mitentwickler und Geschäftsführer des neuen Zentrums. Der Patient erhält eine EEG-Haube und den Auftrag, sich ganz konkret eine Bewegung der kranken Hand vorzustellen – immer und immer wieder. Schon allein die aktive Auseinandersetzung mit der Bewegung unterstützt die Plastizität des Gehirns bei der Bildung neuer zuständiger Areale. Und auch, wenn die Hand bewegungslos bleibt, im zuständigen Hirnbereich gibt es Aktivität. Das Brain Computer Interface erkennt diese Signale, misst die gedankliche Bewegungsvorstellung und leitet sie über einen Biosignalverstärker an einen PC weiter. Hat sich der Patient die richtige Bewegung vorgestellt, sieht er genau diese auf einem Bildschirm, ausgeführt von einem Avatar (ähnlich der Spiegeltherapie). Im Gehirn werden zusätzlich Spiegelneuronen aktiviert.

Therapieansatz Nummer drei arbeitet mit Elektroden auf der Haut, die – sobald der Computer die Signale empfängt – entsprechende Muskelgruppen stimulieren – und zwar genau jene, die aufgrund des durch den Schlaganfall geschädigten Motorkortex im Gehirn nicht mehr willentlich bewegt werden können – so aber bewegt sich die Hand, der Fuß tatsächlich.

„Die bloße mentale Vorstellung wird also mit realer Bewegung gekoppelt, das Gehirn bekommt eine entsprechende Rückmeldung, ein positiver Prozess beginnt“, ergänzt Tim von Oertzen, Vorstand der Klinik für Neurologie am Kepler-Universitätsklinikum Linz. Das Ziel, so der Neurologe, der das System seit Mai dieses Jahres in seinem Haus anwendet, dass dadurch Rehabilitation und Lernprozess verstärkt und beschleunigt werden, werde häufig erreicht.

„Man kann im Prinzip jeden Muskel des Körpers damit trainieren“, erklärt Guger. Voraussetzung ist freilich, dass der Patient aktiv mittut. „Der Patient muss trainieren wie in einem Fitnessstudio, daher nennen wir das Ganze auch Recoverix Gym.“

Das Medizingerät ist derzeit in Österreich am Schiedlberg sowie am Kepler-Universitätsklinikum im Einsatz, darüber hinaus in Krankenhäusern in Japan, China, den USA. „Noch ist es ein Forschungsprojekt“, sagt Guger, es fehle noch die Zulassung als Medizinprodukt. „Aber ich rechne damit, dass wir das alles noch heuer über die Bühne bringen und den echten Betrieb starten können.“ Anfragen gäbe es bereits aus der ganzen Welt, freilich auch aus Österreich.

Neues aus der Akuttherapie

Eine Neuerung in Bezug auf Schlaganfälle gibt es auch hinsichtlich der Akuttherapie. Bis vor Kurzem war die medikamentöse Auflösung eines Gerinnsels (Thrombolyse) die Standardtherapie. Seit Kurzem aber ist bekannt, dass eine Kombination von Thrombolyse und Thrombektomie (mechanische Entfernung des Thrombus) in gewissen Fällen die Überlebensrate deutlich verbessern und die Behinderungsrate drastisch senken kann. Das ergaben etliche internationale Studien sowie eine Auswertung der Daten von 300 Schlaganfallpatienten am Neuromed Campus Linz (frühere Landesnervenklinik Wagner Jauregg) – hier wird erwähnte Intervention für ganz Oberösterreich und das angrenzende Niederösterreich durchgeführt.

Da ist die Thrombolyse nutzlos

Vorweg: Thrombektomie kommt vor allem bei großen Schlaganfällen infrage (großer Thrombus oder große Gehirngefäße betroff en). Neurologe von Oertzen: „Wir haben dazu eine retrospektive Studie gemacht. Mit der Thrombolyse allein kommt man bei großen Schlaganfällen nicht weit, neun von zehn Betroffenen haben nach der Lyse noch immer einen Verschluss der Gefäße.“

Bei der Thrombektomie wird – unter Sedierung oder Vollnarkose – über die Leiste ein Katheter bis ins Gehirn vorgeschoben, alles unter Röntgenkontrolle. An Ort und Stelle wird dann ein Mikrokatheter über den Thrombus geschoben – eine Art Stent, der sich von selbst öffnet –, damit wird der Thrombus dann herausgezogen. 1500 bis 2000 der jährlich 25.000 Schlaganfallpatienten in Österreich könnten davon profitieren. Noch ist in Österreich keine lückenlose Versorgung mit Thrombektomie möglich, es bedarf dazu spezialisierter Teams in spezialisierten Zentren, die es auszubauen gilt. Interventionelle Radiologen und Neuroradiologen fordern dies, Neurologen (die derzeit in Österreich keine Thrombektomie durchführen dürfen, oder nur mit entsprechender Zusatzausbildung) geben sich noch eher zurückhaltend.

Bildgebende Biomarker

Elke Gizewski, geschäftsführende Direktorin der Abteilung für Neuroradiologie an der Medizinischen Universität Innsbruck, erinnert sich gern an eine Thrombektomie am 23. Dezember 2015: „Ein 56-jähriger Schlaganfallpatient kam mit Halbseitenlähmung zu uns, er konnte überhaupt nicht mehr sprechen. Kaum hatte ich den Thrombus entfernt, begann er wieder zu reden und sich zu bewegen. Als ich ihn am nächsten Tag im Krankenzimmer besuchte, aß er gerade und bedankte sich bei mir für das Weihnachtswunder.“

Gizewski ist derzeit im Rahmen einer Studie auf der Suche nach bildgebenden Biomarkern, die möglicherweise Voraussagewert für ein Schlaganfallrisiko haben. „Derzeit sprechen wir nur von Verkalkungen in Gehirngefäßen, aber es gibt keine Quantifizierung wie zum Beispiel beim Herzinfarkt.“ Die Radiologin will nun herausfinden, ob ab einem gewissen Kalk-Score das Risiko für einen Hirninfarkt erhöht ist. „Sollte sich das bestätigen, hätten wir einen weiteren Marker für die Prävention. Mit bestimmten Medikamenten und Lifestyle-Maßnahmen könnten wir dann rechtzeitig eingreifen und die Gefahr für einen ersten Schlaganfall oder für einen zweiten Hirninsult signifikant senken.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2016)

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