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Clostridium-Bakterien lösen Darmentzündungen aus, wenn sie Platz haben, sich zu vermehren.
Clostridium-Bakterien lösen Darmentzündungen aus, wenn sie Platz haben, sich zu vermehren.(c) Kateryna Kon/Science Photo Library/picturedesk.com
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Ein Großteil der Zellen unseres Körpers ist nicht menschlich. Ein Forschernetzwerk erforscht nun die Netzwerke der Mikroorganismen, die in und auf uns leben – und sucht neue probiotische Mischungen für unsere Gesundheit.

Können Lebewesen keimfrei sein? Wir wissen schon längst, dass in und auf jedem Menschen mehr Zellen von Bakterien und anderen Mikroorganismen zu finden sind als menschliche Körperzellen. Kann man all diese Bakterien, Pilze, Viren und Archaea (sie wurden früher Urbakterien genannt) entfernen?

Teilweise ja, bei Versuchstieren, die speziell gezüchtet und steril aufgezogen werden. Sogenannte gnotobiotische Mäuse sind in der Forschung beliebt, man kann den keimfreien Tieren neue Mischungen von bekannten Mikroorganismen „animpfen“.

„Im Vergleich zur komplexen Mikrobiota (siehe Lexikon), wie sie natürlicherweise im Darm vorkommt, erkennt man an gnotobiotischen Mäusen, was passiert, wenn bestimmte Mikroorganismen fehlen, und wofür einzelne Mikroorganismen im Darm zuständig sind“, erklärt Alexander Loy, mikrobieller Ökologe der Uni Wien. Gemeinsam mit Mikrobiologen der Uni München forscht er an keimfreien Mäusen, die unterschiedliche Stämme von Mikroorganismen erhalten.

Auch wir Menschen nehmen verschiedene Mikroorganismen-Mischungen zu uns: in probiotischen Produkten von Lactobacillus-Joghurts über Nahrungsergänzungsmitteln „für die optimale Darmflora“ bis zu Medikamenten gegen Durchfall oder Verstopfung.

Salmonellen bekämpfen

Die Mikrobiota eines gesunden Menschen oder Tieres ist sehr individuell und komplex, daher ist es schwierig, die Funktion einzelner Bakterien-Stämme zu verstehen. An mit gewissen Mikroben ausgestatteten Mäusen im Labor wurde nun gezeigt, worauf es bei Salmonella-Infektionen ankommt.

„In einem gesunden Darm sind alle Nischen besetzt und keine frei für Pathogene“, sagt Loy. „Wäre der Darm ein Tisch, würden an jedem Platz symbiontische Mikroben sitzen, sodass ein Salmonella-Bakterium keinen Platz findet.“ Wir kommen jeden Tag in Kontakt mit potenziellen Krankheitserregern, werden aber nicht jeden Tag krank. „Erst wenn das gesunde Gleichgewicht gestört ist, etwa nach Antibiotika-Therapien oder durch falsche Ernährung, werden Plätze, also ökologische Nischen, für Pathogene frei“, betont Loy.

Die Versuche mit gnotobiotischen Mäusen zeigten, dass es auf die genetische Vielfalt der Bakterienmischung ankommt. „Wir haben eine Mischung an wenigen Bakterien-Stämmen gefunden, die den Mäusen denselben Schutz gegen Salmonellen bietet wie ihre natürliche, komplexe Darmmikrobiota“, so Loy. Um welche Nährstoffe und damit „Sitzplätze“ im Darmmilieu die verschiedenen Darmmikroorganismen mit Salmonellen im Wettkampf stehen, wird derzeit weiter untersucht und könnte die Basis für die Entwicklung neuer Prä- oder Probiotika sein.

Darüber hinaus können die Forscher in der Wiener Althanstraße durch hier entwickelte Methoden genau verfolgen, welcher Nährstoff von welchem Bakterium der natürlichen Darmmikrobiota aufgenommen wurde und wohin die zerlegten Substanzen im Körper wandern. „Man weiß seit Kurzem, dass Azetat, ein Endprodukt des Stoffwechsels der Mikrobiota, bis in das Gehirn gelangt und dort das Signal gibt, wann wir satt sind.“

Diese Darm-/Hirn-Achse und weitere Auswirkungen der Mikrobiota auf unseren Körper genauer zu erforschen ist eines der Ziele des neu gegründeten Forschernetzwerkes Amici (Austrian Microbiome Initiative), das alle heimischen Mikrobiom-Forscher vereint, Präsident ist Christoph Steininger von der Med-Uni Wien. Zudem steht der Einfluss der Mikrobiota bei der Entstehung und Therapie von Erkrankungen wie Krebs, Autismus oder Allergien im Fokus.

Amici soll die Expertise, die in Graz, Wien oder Innsbruck in dieser boomenden Forschungsrichtung vorhanden ist, bündeln.

Transfer der Darmbakterien

Österreich hat nicht nur bei der Mikrobiom-Grundlagenforschung, sondern auch bei klinischen Studien bemerkenswerte Pionierarbeit geleistet. So zum Beispiel bei Fäkal-Transplantationen: Die Zufuhr der Darmmikrobiota eines gesunden Menschen hilft gegen entzündliche Infektionen mit Clostridium difficile-Bakterien. Derzeit wirkt es bei mehr als 90 Prozent der Patienten. Die Erfolgsrate bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa ist aber viel geringer. Die Forscher suchen nun nach so etwas wie dem Super-Spender, also nach Menschen, deren Fäkal-Spende noch mehr Patienten helfen kann. „Anhand der Mikroorganismen eines Super-Spenders könnte man herausfinden, worauf es ankommt“, sagt Loy. Das wäre die Basis für ein Probiotikum, in dem genau die richtigen Keime in Tablettenform, ohne die Risken der Fäkal-Transplantation, eingenommen werden

Den schnellsten Einfluss auf die eigenen Darmmikroben hat jeder Mensch über die Ernährung, die ja Lebensgrundlage der Bakterien ist. „Die Tipps, die sich aus der derzeitigen Forschung ergeben, sind noch nicht überraschend“, sagt Loy.

Komplexe Kohlenhydrate aus Obst und Gemüse sind gesundheitsfördernder als einfache, schnell verwertbare Zucker aus gesüßten Lebensmitteln. Ausgewogene Ernährung und die Zufuhr von nicht schnell verdaulichen Ballaststoffen fördert die Mikrobenvielfalt und ein stabiles Gleichgewicht im Darm.

„Das langfristige Ziel ist, dass jeder Mensch seine persönliche Mikrobiota kennt und Therapien genau daran angepasst werden: Gesundheitsfördernde Veränderungen der eigenen Mikrobiota durch personalisierte Probiotika oder individuell angepasste Ernährung ist keine Science-Fiction.“

LEXIKON

Mikroflora ist der veraltete Ausdruck für die Gesamtheit aller Mikroorganismen in einem Lebensraum.

Mikrobiota ist der korrekte Ausdruck: Es gibt Darm- oder Haut-Mikrobiota, aber auch in Lunge oder Mund leben symbiontische Mikroben, die Funktionen für unsere Gesundheit übernehmen.


Mikrobiom bezeichnet die Gesamtheit der genetischen Information, die in den Mikrobiota steckt, also DNA und andere Biomoleküle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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