Blauelstern helfen anderen selbstlos

Für die Forschung kamen die asiatischen Blauelstern nach Wien: in Volieren der Uni Wien am Alsergrund.
Für die Forschung kamen die asiatischen Blauelstern nach Wien: in Volieren der Uni Wien am Alsergrund.(c) Gantulga Bayandonoi
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Erstmals wurde gezeigt, dass Vögel ihren Gruppenmitgliedern Futter zustecken, obwohl sie selbst nichts erhalten. Die gemeinsame Aufzucht der Jungen fördert das prosoziale Verhalten.

Lange dachte man, nur Menschen machen so etwas: anderen ohne Gegenleistung helfen. Forscher nennen es „prosoziales Verhalten“, wenn man ohne großen Kostenaufwand jemanden unterstützt, den man vielleicht gar nicht kennt. Im Vergleich zu Altruismus ist es die leichtere Form selbstlosen Helfens: Bei altruistischen Handlungen nimmt man größere Kosten oder Nachteile auf sich, um anderen Gutes zu tun.

„Ein typisches prosoziales Verhalten ist, wenn man auf der Straße sieht, dass jemandem ein Handschuh herunterfällt und man diesen aufhebt und die Person darauf aufmerksam macht“, sagt Lisa Horn vom Department für Kognitionsbiologie der Uni Wien. Gemeinsam mit Jorg Massen konnte sie – gefördert vom Wissenschaftsfonds FWF – erstmals eine solche Prosozialität bei Vögeln feststellen. Seitdem klar ist, dass Menschen nicht die einzigen prosozialen Wesen sind, wurden meistens Versuche mit Affen gemacht: um zu erfahren, wie mit uns verwandte Arten es mit der Selbstlosigkeit halten.

„Schimpansen, unsere nächsten Verwandten, die sehr hohe kognitive Fähigkeiten besitzen, zeigen kaum Prosozialität“, sagt Horn. Sie kooperieren zwar miteinander, aber nur, wenn jeder davon etwas hat. „Überraschenderweise zeigen Krallenaffen prosoziales Verhalten: Sie haben ein kleineres Gehirn und sind nicht nahe mit Menschen verwandt“, erzählt Horn. Schnell fanden Wissenschaftler Gemeinsamkeiten zwischen Krallenäffchen und Menschen: Beide kümmern sich gemeinschaftlich um den Nachwuchs. Nicht nur Mutter und Vater sind in die Aufzucht involviert, sondern auch andere Verwandte und nicht Verwandte.

Die Frage war, ob das gemeinschaftliche Aufziehen der Jungen prosoziale Tendenzen fördert: Immerhin müssen alle Gruppenmitglieder tolerant gegenüber anderen Individuen sein, und jeder lässt auch einmal dem anderen etwas Gutes zukommen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

Vögel stammen aus Ostasien

Um die Hypothese zu bestätigen, fehlten Belege aus anderen Tiergruppen. Kognitionsbiologen um Thomas Bugnyar der Uni Wien testeten z. B. Raben auf prosoziales Verhalten: Obwohl sie sonst sehr gut kooperieren, zeigten diese kein Verlangen, anderen Gutes zu tun, wenn sie selbst nichts kriegten.

Also suchten die Zoologen nach Vögeln, die kognitiv gut entwickelt sind und gemeinschaftlich die Jungen aufziehen. „So kamen wir auf die Blauelstern, die zur Familie der Rabenvögel gehören und in Ostasien beheimatet sind“, sagt Horn. Im Jahr 2014 wurden die ersten Tiere nach Österreich gebracht und in Volieren an der Wiener Althanstraße und im niederösterreichischen Haidlhof angesiedelt. Bald schlüpften sogar Junge in der Voliere in Wien.

„Blauelstern sind kooperative Brüter, sie kümmern sich in der Gruppe um die Jungenaufzucht: Das ist ein komplexes System von verwandten und nicht verwandten Tieren“, sagt Horn. Das Setting, das zeigen sollte, ob Blauelstern anderen Gruppenmitgliedern Gutes tun, war von Versuchen mit Affen inspiriert, bei denen auf einer Seite eines Bretts Futter liegt, das aber niemals der Affe erreichen kann, der das Brett zu sich zieht, sondern nur ein anderer, der auf der gegenüberliegenden Brettseite wartet.

„Da Vögel keine Hände haben, mussten wir das Setting adaptieren und haben eine Wippe entwickelt, auf der die Blauelstern landen können“, erklärt Horn. Die eine Seite der Wippe befindet sich außerhalb der Voliere und kann vom Experimentator mit Leckereien wie Grillen oder Mehlwürmern bestückt werden. Auf der anderen Seite ragt ein Sitzstangerl in den Käfig: Landet der Vogel auf dem Sitzstangerl der Wippe, rutscht das Futter nahe zum Gitterzaun und ein zweiter Vogel kann sich dort den Happen schnappen. Fliegt der erste Vogel von dem Wippenplatz auf, um an das Futter zu gelangen, wandert die Wippe auf der Außenseite wieder nach unten und das Futter außer Reichweite. Als Kontrolle, ob die Tiere einfach gern auf der Wippe landen, egal, ob andere davon etwas haben, wurde entweder kein Futter außen daraufgelegt oder der Zugang zum Futter am Zaun versperrt. In diesen Fällen verloren die Blauelstern schnell das Interesse an der Wippe.

Manche nehmen, andere geben

„Wir haben vermutet, dass diese Vogelart prosoziales Verhalten zeigt, aber das Ausmaß hat sogar uns überrascht.“ In fast 100 Prozent der Tests setzten sich die Tiere dann auf die Wippe, wenn ihre Kollegen dadurch ein Häppchen bekamen. Sie folgten dabei nicht dem Prinzip „Wie du mir, so ich dir“. Eher zeigte sich, dass manche Blauelstern mehr geben und andere mehr nehmen.

In einer Gruppe waren es die ältesten Männchen, die am meisten Futter bekamen, in der anderen die Weibchen. [ Foto: Uni Wien ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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