Soll man überzuckerte Softdrinks grün einfärben?

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Anders als viele andere Säugetiere können viele Affen Rot und Grün unterscheiden, wir können es auch. Den Affen hilft das vermutlich beim Finden und bei der Wahl der Nahrung: Sie bevorzugen Rot.

„Rote Lippen soll man küssen, denn zum Küssen sind sie da!“ Das empfahl der Schlagersänger Cliff Richard 1963, eine Begründung gab er nicht, es war selbstverständlich, nicht nur für sein Genre und die Kosmetikindustrie. Sondern auch für alle Hörerinnen und Hörer: Niemand wäre auf die Idee gekommen, grüne Lippen zu küssen.

Es gibt ja auch keine. Warum nicht? Liegt der Schlüssel zum Reiz der Farbe Rot in der Sexualität bzw. ihren (und anderen sozialen) Signalen? Oder liegt er dort, wo es sich auszahlte, überhaupt zwischen rot und grün unterscheiden zu können? In jedem Fall braucht man dazu trichromatische Augen, die mit drei verschiedenen Opsinen ausgestattet sind, das sind Sehpigmente, die älter sind als das Sehen. Man hat sie etwa bei Seeigeln gefunden, die haben weder Augen noch Gehirn, offenbar detektierten sie mit den Opsinen etwas anderes.

Als die zum Sehen rekrutiert wurden, erweiterte sich das Repertoire rasch, viele Amphibien, Fische, Reptilien und Vögel haben vier oder noch mehr verschiedene Opsine. Wir und die anderen Altweltaffen – und die Brüllaffen der Neuen Welt – haben drei, die meisten anderen Säuger haben nur zwei, sind farbenblind.

Dafür sind ihre Nasen fein: Zwar bilden die Gene für den Geruch bei allen Säugern die größte Familie, und bei denen, die die Nase am Boden haben, sind die meisten auch aktiv, Mäuse und Hunde haben nur 20 Prozent stillgestellt, sie in Pseudogene verwandelt. Die Affen der Alten Welt hingegen haben vor 23 Millionen Jahren auf 30 Prozent verzichtet, im Gegenzug haben sie das trichromatische Sehen entwickelt, das von Rot.

Warum? Es gibt zwei Hypothesen, die eine setzt eben auf Signale, sexuelle und im weiteren Sinn soziale: Bei vielen Affen färbben sich bei den Weibchen Geschlechtsteile und Brüste rot, wenn die empfängsnisbereite Zeit gekommen ist; bei anderen Primaten, Goldlanguren, legen dann Weibchen und Männchen ihr cremefarbenes Fell ab und sich ein rotes zu. Allerdings tun das auch nicht geschlechtsreife Junge, offenbar sind sie mit der Farbe einfach leichter zu sehen, wenn eine Gruppe im Dschungel verstreut ist.

Rot? Nahrhaft! Grün? Weniger!

Aber im Dschungel gibt es anderes auch zu sehen, darauf setzt die zweite Hypothese. Ihr zufolge haben die meisten Affen das trichromatische Sehen entwickelt, um Futter erstens zu finden und zweitens zu bewerten: Reife rote Früchte und saftige, oft rote junge Blätter sind im grünen Allerlei weithin sichtbar – zähe alte Blätter und unreife saure Früchte sind grün. „In natürlichen Nahrungsmitteln ist die Farbe ein guter Anzeiger für Kalorien: je röter, desto nahrhafter“, fasst Francesco Forroni (SISSA Triest) zusammen: „Auch wir lassen uns von der Farbe leiten.“ –Deren Einfluss auf unsere Wahl der Nahrungsmittel ist wenig untersucht, und bisherige Befunde sind inkonsistent. In Forronis Labor hingegen war alles klar: Testpersonen bekamen Bilder vorgelegt, von rotem und grünem Essen, Tomaten und Gurken etwa, und von roten und grünen Gebrauchsgegenständen. Die Probanden sollten entscheiden, was sie mehr anspricht. Beim Essen war das immer das Rote, auch bei vorgefertigten industriellen Speisen, denen man an der Farbe gar nichts mehr ablesen kann.

Bei Gebrauchsgegenständen hingegen zeigte sich die Vorliebe nicht (Scientific Reports 14. 11.). Forroni schlägt vor, das zur Förderung der Gesundheit zu nutzen und unerwünschte Nahrungs- und Genussmittel – überzuckerte Softdrinks etwa oder auch nur ihre Verpackung – schlicht grün einzufärben. Würde das funktionieren? Man sollte vielleicht erst einmal auf Märkten erkunden – nicht nur im Labor –, ob Konsumenten wirklich lieber zu Tomaten greifen als zu Gurken. Oder zu beidem gleich gerne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2016)

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