Training mit „Buddies“ hilft älteren Menschen

Seniorin mit Gehstock
Seniorin mit Gehstock(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com
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Gesundheit. In unserer Langlebigkeitsgesellschaft gibt es immer mehr gebrechliche Menschen. Das kostet Geld und Lebensqualität. Nationale und internationale Forschungsprojekte suchen nach Möglichkeiten der Prävention.

Gebrechlich: Man kommt nicht mehr ohne Hilfe vom Stuhl auf, man schafft es kaum noch oder gar nicht mehr zum nächsten Lebensmittelgeschäft. Gebrechlichkeit, Frailty, kostet Lebensqualität, kostet Lebensjahre, kostet Geld. Gebrechlichkeit erhöht das Risiko für Stürze, Pflegebedürftigkeit und vorzeitigen Tod. Frailty vorzubeugen ist also in der heutigen Langlebigkeitsgesellschaft ein Gebot der Stunde. Zahlreiche Forschungsprojekte sind daher der Prävention von Frailty auf der Spur, weltweit und auch in Österreich. Hierzulande sind elf Prozent der über 65-Jährigen gebrechlich und 41 Prozent von einer Vorstufe betroffen, also schwer gefährdet, ebenfalls frail zu werden.

„Gesund fürs Leben“

Eine Antwort, wie man dem Dilemma begegnen könnte, hat das Institut für Sozialmedizin der Medizinischen Universität Wien. Gemeinsam mit dem Wiener Hilfswerk und der Sportunion Österreich wurde das Projekt „Gesund fürs Leben“ (gefördert vom Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds) initiiert. „Gründe für Gebrechlichkeit sind neben dem Alter per se Abnahme der Muskulatur, Mangelernährung und chronische Entzündungen. Leider verstärken sich die Risikofaktoren meist gegenseitig auch noch“, sagt Studienleiter Thomas E. Dorner vom Institut für Sozialmedizin, „ein Teufelskreis“. Kann man den mit körperlichem Training, Verbesserung des Ernährungsstatus und sozialer Unterstützung unterbinden? „Unser Projekt sollte das herausfinden.“

Bemerkenswertes Ergebnis

Ehrenamtliche Laien, sogenannte Buddies, wurden eingeschult und besuchten gebrechliche Menschen im Durchschnittsalter von 83 Jahren zwölf Wochen lang zweimal wöchentlich in ihren Wohnungen. Eine Gruppe der Probanden absolvierte ein auf ältere Menschen abgestimmtes Trainingsprogramm, ein Ernährungskonzept wurde erstellt, bei der anderen Gruppe dienten die Hausbesuche nur der sozialen Unterstützung, es gab Gedächtnisübungen, es wurde geplaudert und gespielt.

Das Ergebnis war bemerkenswert: Nicht nur die Trainings- und Ernährungsgruppe profitierte, auch jene Probanden, die nur soziale Unterstützung erhielten, zeigten wesentliche Benefits. Bei ihnen reduzierte sich die Häufigkeit von mangelhaftem Ernährungsstatus um 23 Prozent (Trainingsgruppe 25 Prozent), jene von Frailty um 16 Prozent (Trainingsgruppe 17 Prozent). „In der Trainingsgruppe ging jedoch die Angst vor Stürzen deutlich zurück, in der anderen Gruppe stieg sie indes. Wahrscheinlich, weil das Thema angesprochen und bewusst gemacht, aber nicht mit Übungen gegengesteuert wurde“, vermutet Dorner. „Wir hoffen, dass das Programm ins Gesundheitssystem implementiert wird.“ Teuer sei es nicht, da es keine zusätzlichen Gesundheitsfachkräfte brauche, sondern sich gut mit geschulten Freiwilligen durchführen ließe.

Um Gebrechlichkeit geht es auch beim EU-finanzierten Forschungsprojekt „My-AHA“ (My Active and Healthy Ageing), bei dem die Johanniter Österreich in Bereichen federführend sind. „My-AHA“ wurde im Jänner gestartet, ist für vier Jahre anberaumt, wird von der Universität Turin koordiniert, 16 Staaten nehmen teil. Im Vordergrund stehen die Identifikation von Risikofaktoren, Früherkennung und Prävention von Frailty. „Deswegen ist vorangeschrittene Frailty ein Ausschließungsgrund, wir suchen Testpersonen ab 60 Jahren“, sagt Georg Aumayr von den Johannitern Österreich, die für die Rekrutierung und Durchführung der Feldversuche in Europa zuständig sind.

Testpersonen gesucht

Die Testpersonen – für Österreich werden etwa 100 gesucht – werden mit Hardware und Sensoren ausgestattet, damit die Effizienz der Interventionsangebote evaluiert werden kann. Letztere sind sehr breit gefächert und eine gesunde Mischung aus realen Treffen und Online-Diensten: von diversen Tests (Depression, Gedächtnis, Ganganalysen) oder Erhebung persönlicher Vitalfunktionen über niederschwellige Fitness-Programme (gemeinsames Gruppentraining oder Übungen mit Computer), geistig anregende Spiele, Gedächtnisübungen am Computer und Gleichgewichtstraining bis zu Seniorencafés (real und über Vernetzungsplattformen) und Empfehlungen zu Schlaf und Ernährung.

Zeigen ausgewertete Daten ein Risiko an, stellt eine internetbasierte Plattform maßgeschneiderte Interventionspogramme als Empfehlung zur Verfügung. Aumayr: „Physische und kognitive Aktivitäten sollen unterstützt und Ernährung, Schlafqualität und Wohlbefinden verbessert werden.“ Ende 2017 wird evaluiert, welche Programme am besten zur Identifikation und Prävention von Frailty geeignet sind.

Als sehr wirksam hat sich das Konzept „Mobile geriatrische Remobilisation“ erwiesen, ein inzwischen in die Regelfinanzierung übernommenes Pilotprojekt in Kärnten: Geriatrische Patienten werden etwas früher aus dem Krankenhaus entlassen und von einem vollständigen geriatrischen Team in ihren Wohnungen betreut. Sie erhalten im Schnitt sechs Wochen lang etwa 36 Therapie-Einheiten.

Walter Müller, Geriater am Elisabethinen-Krankenhaus in Klagenfurt und Projektinitiator: „Da ging es nicht nur um Physio- oder Ergotherapie, sondern auch um die Lösung von psychosozialen Problemen und um die behindertengerechte Adaptierung der Wohnung. Therapieziel ist die Verbesserung der Aktivitäten des täglichen Lebens, damit Betroffene möglichst lang im trauten Heim zurechtkommen. Es wird also dort trainiert, wo der Alltag stattfindet.“ Beispiel: Nach einem Oberschenkelhalsbruch lernt der Patient mit dem Physiotherapeuten, wieder selbstständig in seine eigene Badewanne zu steigen.

Betreuung zu Hause effektiver

Erkenntnis aus dem Pilotprojekt: Bei den Probanden, die zu Hause betreut wurden, verringerte sich das Sturzrisiko gegenüber den im Krankenhaus betreuten Personen dramatisch. Physische und psychische Unterstützung in den eigenen vier Wänden ist nicht nur wesentlich individueller, sondern auch effizienter und nachhaltiger als jene im Spital. „Das bedeutet insgesamt weniger künftige Brüche, weniger folgende Krankenhausaufenthalte.“

Das Projekt wurde auch hinsichtlich des ökonomischen Nutzens evaluiert: „Heimbetreuung statt Krankenhausaufenthalt verringerte die Kosten unterm Strich um 54 Prozent“, betont Müller. Nun ist die Ausrollung des Pilotprojekts auf ganz Kärnten geplant.

IN ZAHLEN

11 Prozent der über 65-jährigen Österreicher sind gebrechlich, und 41 Prozent sind von einer Vorstufe betroffen, also schwer gefährdet, ebenfalls gebrechlich zu werden.

54 Prozent Kosten spart man ein, wenn man geriatrische Patienten etwas früher aus dem Krankenhaus entlässt und sie professionell zu Hause betreut. Außerdem verringert Heimbetreuung das Sturzrisiko gegenüber Spitalsbetreuung dramatisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2016)

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