Warum Viren zu Männern bösartiger sind

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Frauen haben mehr Möglichkeiten, Krankheitserreger weiterzugeben. Deshalb kann es für Viren von Vorteil sein, wenn die von ihnen befallenen Frauen länger leben.

Unter den Viren, die Krebs auslösen können, ist ein Retrovirus namens HTLV-1: Eine Infektion mit ihm kann in einer Form von Leukämie münden. Seltsamerweise in Japan deutlich häufiger (zwei- bis dreieinhalbmal so oft) bei Männern als bei Frauen – in der Karibik dagegen ist die Wahrscheinlichkeit, dass aus der HTLV-1-Infektion Leukämie entsteht, bei den Geschlechtern gleich groß.

Wie kann das sein? Und wie kann man die Beobachtung erklären, dass manche Vireninfektionen bei Frauen harmloser verlaufen? Es wurde oft versucht, das durch Unterschiede im Immunsystem – das bei Männern ja durch Testosteron chronisch geschwächt ist – zu begründen. Francisco Úbeda von der Royal Holloway University of London schlägt in Nature Communications (13. 12.) eine andere, faszinierende, aus einem mathematischen Modell abgeleitete Antwort vor: Es liege daran, dass es für die Viren nicht egal ist, welchen Geschlechts das Wesen ist, in dem sie ihr Unwesen treiben.

Frauen – und wohl allgemein: weibliche Tiere – haben für Viren den großen Vorteil, dass sie ihnen bessere Möglichkeiten der Übertragung bieten: nämlich auf ihre Kinder. Etwa wenn sie diese, wie bei Säugetieren üblich, in ihrem Uterus heranwachsen lassen und dann an ihrer Brust nähren.

Das heißt für das Virus, das es für es von Vorteil ist, wenn die von ihm befallene Frau länger lebt und länger Zeit hat, es an ihre Kinder weiterzugeben. Anders gesagt: Die Viren, die den Frauen weniger Schaden zufügen, leben selbst länger (wenn man bei Viren von Leben reden darf) und vermehren sich besser. Noch anders gesagt: Die natürliche Selektion bevorzugt Viren, die die von ihnen befallenen Frauen schonender behandeln.

Das Prinzip „Survival of the Fittest“ gelte eben auch für Viren, erklärt Úbeda: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses geschlechtsspezifische Verhalten auch bei vielen anderen Pathogenen vorkommt. Das ist ein exzellentes Beispiel dafür, wie nützlich eine evolutionäre Erklärung in der Medizin sein kann.“

Tendenz zu geringerer Virulenz

Ähnlich lässt sich z. B. erklären, warum Schnupfen meist so harmlos bleibt: Für die Schnupfenviren ist es wichtig, dass die von ihnen befallenen Menschen mobil bleiben, damit sie auf die Straße gehen können, wo sie andere Menschen anstecken können. Überhaupt tendieren Viren dazu, allmählich weniger virulent zu werden. Das gilt auch für das HI-Virus, so gibt es Hinweise darauf, dass bei Aids die Zeit von der Ansteckung bis zum Ausbruch tendenziell wächst. Auch das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Weitergabe: für das Virus ein Selektionsvorteil.

Und wie erklärt man den Unterschied zwischen Japan und der Karibik? Laut Úbeda damit, dass japanische Frauen ihre Kinder öfter und länger stillen als karibische.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2016)

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