Ein sprechender Dialektatlas für Südtirol

Südtirol
Südtirol(c) Clemens Fabry
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Der Salzburger Sprachwissenschaftler Hannes Scheutz ist der „Sprache der Nähe“ auf der Spur. Sein Sprachatlas zeigt die Vielfalt der deutschen Dialekte in Südtirol – zum Nachlesen und Nachhören.

Was ist der Unterschied zwischen einer Haigaign und einem Khlokher? Der eine ist ein großer, schlaksiger Kerl, der andere von sehr kräftiger Statur. Ein haigaign kann aber auch eine Khrakse oder Khrukhe sein, der Khlokher auch ein Prokhn oder Khlachl.

Urige basisdialektale Ausdrücke wie diese sind in unseren Breiten aus dem Wortschatz weitgehend verschwunden. In Südtirol reden – zumindest die Älteren – noch vielfach so. Die althergebrachte Grundmundart hat sich in Südtirol weniger stark verändert als beispielsweise in Salzburg oder Oberösterreich. Wobei auch in Südtirol Dialekt nicht gleich Dialekt ist. Von Dort zu Dorf, von Tal zu Tal spricht man anders.

Der Sprachwissenschaftler Hannes Scheutz von der Universität Salzburg hat sich auf Spurensuche nach den deutschen Dialekten in Südtirol begeben. Daraus ist der „sprechende“ Dialektatlas „Insere Sproch“ entstanden, der einen direkten Hörvergleich zwischen den einzelnen Dialekten ermöglicht. Ein Anliegen des Germanisten: „Ich will den Dialekt aus dem anekdotischen Eck herausholen.“ Dialekt ist die Sprache der Nähe. Er wird in den Familien, im Freundeskreis, im Dorf gesprochen.

Dialekte und deren Veränderung beschäftigen den Germanisten schon seit Langem. Bei den Recherchen für den interaktiven Sprachatlas „Deutsche Dialekte im Alpenraum“ zeigte sich, dass die südbairischen Dialekte – und dazu zählen auch die Südtiroler Dialekte– weitaus weniger gut erforscht sind als die mittelbairischen, die zwischen München und Wien gesprochen werden.

Dialekt als Symbol der Identität

„Die standardsprachlichen Einflüsse auf den Dialekt haben bislang in Südtirol zu weniger starken Veränderungen geführt als in anderen Sprachräumen“, beobachtete Scheutz. Der Dialektabbau, der in vielen österreichischen Regionen dramatische Ausmaße angenommen hat, ist hier weitaus weniger fortgeschritten. Das hänge zum einen mit der Abgeschlossenheit mancher Talschaften zusammen und zum anderen wohl auch damit, dass der Dialekt ein starkes regionales und soziales Identitätsymbol ist.

Für seine Untersuchung führte Scheutz in 50 Südtiroler Gemeinden Interviews. Ansprechpartner waren jeweils Menschen jenseits der 60 sowie aus der Gruppe der 20- bis 30-Jährigen. Dieser Vergleich erlaubt einen Blick darauf, wie sich Sprache über Generationen verändert. Die Interviewpartner mussten jeweils einen Fragebogen mit 600 Sprachbeispielen vom Standarddeutschen in den ortsüblichen Dialekt übersetzen.

Überrascht hat den Wissenschaftler die Vielfalt der Ausdrücke und Formen, die sich in den einzelnen Gemeinden erhalten hat. Das Tirolerische differiert dabei weniger in Nord-Süd-Richtung. „Unterschiede zeigen sich hauptsächlich zwischen Westen und Osten“, berichtet Scheutz: „Der Alpenhauptkamm dürfte als Sprachbarriere keine so große Rolle gespielt haben.“

Die Neuerungen lassen sich eher rund um städtische Zentren oder entlang von Verkehrswegen oder Tourismusströmen festmachen. Viele Wörter, Formen und Satzstellungen aus dem östlichen Südtirol reichen bis in den Salzburger Pinzgau, den Lungau oder das Kärntner Lessachtal hinein.

Diese sprachlichen Verbindungen weiter zu verfolgen ist eine Forschungsfrage, die sich für Scheutz aus der Arbeit an dem Dialektatlas ergeben hat. Und eine zweite drängt sich auf: „Mit den Materialien könnte man eine Grammatik des Südbairischen schreiben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2016)

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