Woher kommt die Legasthenie?

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Hinter dem Problem mit Lesen steht ein generelles: Das Gehirn kann es sich nicht einfach machen.

Wenn Sie einen Text wie diesen ohne Mühe lesen können, dürfen Sie sich glücklich schätzen: Noch vor ein paar Tausend Jahren konnte kein Mensch lesen, und heute haben auch in hoch alphabetisierten Gesellschaften mindestens zehn Prozent Schwierigkeiten mit dem Lesen (und Schreiben), bisweilen auch mit dem Verstehen von Gesprochenem. Sonst sind diese Menschen so normal und intelligent wie andere auch.

Aber irgendetwas in den Gehirnen bereitet Probleme. Ein Schreibzentrum gibt es nicht – die Kunst des Schreibens ist zu jung –, also suchte man lange im Sprachzentrum. Dort fand sich nichts. Also machte sich John Gabrielli (MIT) auf die Suche nach generelleren Vorgängen: Er lud Testpersonen ein, Legastheniker und Nichtlegastheniker, und machte mit Computertomografen sichtbar, was beim mehrfachen Hören eines Satzes vor sich ging, der in zwei Varianten kam: Einmal wurde er von ein und derselben Stimme gesprochen, das andere Mal kam jedes Wort von einer anderen. Nichtlegastheniker reagierten auf die gleichbleibende Stimme zunächst mit hoher Aktivität im Sprachzentrum, in den folgenden Runden wurde sie zurückgefahren; bei den mit jedem Wort wechselnden Stimmen war das nicht der Fall, die Aktivität blieb hoch. So war das auch bei den Legasthenikern, aber bei denen war es auch bei der gleichbleibenden Stimme so: Es gab keine Gewöhnung, das Gehirn konnte sich nicht von Runde zu Runde die Arbeit leichter machen: Es ist nicht plastisch genug (Neuron 21. 12.).

„Mangel an Anpassung“

Das Defizit ist nicht auf das Hören beschränkt. Es zeigte sich auch, als in weiteren Tests Bilder von verschiedenen Personen oder Gegenständen gezeigt wurden. Es ging nun also um das Sehzentrum. Wieder nahmen Nichtlegastheniker rasch abkürzende Wege, Legastheniker mussten immer neu ansetzen. „Das spricht dafür, dass der Mangel an Anpassung allgemein ist“, schließt Gabrielli: „Es ändern sich die betroffenen Hirnareale, nicht das grundlegende Phänomen.“

Wo das herkommt, ist damit nicht geklärt, Gabrielli will in der nächsten Runde mit kleinen Kindern arbeiten, um der Entstehung auf die Spur zu kommen und mögliche Abhilfen zu suchen. Nicht geklärt ist auch, warum das Defizit im Alltag beim Lesen/Schreiben so durchschlägt und nicht beim Identifizieren von Gesichtern. Er vermutet, dass es daran liegt, dass beim Lesen viele Hirnareale beteiligt sind: „Lesenlernen ist eine der schwierigsten Aufgaben für Menschen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2016)

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