Naturhistorisches Museum: Zäher Ritt auf der Schildkröte

Bernd Lötsch
Bernd Lötsch(c) Michaela Bruckberger
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Kurz vor dem Ende des Darwin-Jubiläumsjahrs feiert auch das Naturhistorische Museum in Wien den Vater der Evolutionstheorie mit einer Ausstellung.

Darwin war nicht nur ein ernster Forscher, er schätzte auch Späße und berichtete in seiner „Reise mit der Beagle“, wie sehr er sich über Riesenschildkröten auf den Galapagosinseln „amüsierte“: „Einige Male setzte ich mich einer auf den Rücken, und wenn ich ihr dann ein paarmal hinten auf den Panzer klopfte, erhob sie sich und lief los.“ – „Die Verführung, auf so eine Schildkröte zu steigen, ist schon sehr groß“, ergänzt aus eigener Erfahrung Bernd Lötsch, Direktor des Naturhistorischen Museums (NHM) in Wien: „Darwin war ein ausgezeichneter Reiter. Und er war einer der schärfsten Naturbeobachter, den die Kulturgeschichte hat.“ Also reitet in der Eingangshalle des Museums eine Darwin-Puppe auf einer Schildkröte und winkt mit der Linken ein wenig rätselhaft – einladend oder abweisend? – zur Ausstellung „Darwins rEvolution“, sie füllt drei Säle, im ersten geht es um den Menschen Darwin.

Der ging mit 22 auf seine Reise, er war oft seekrank, hat sich „um die Welt gekotzt. Da kann man gut verstehen, dass er später nie mehr aus England wegging“, erklärt Ernst Mikschi, Leiter der 1.Zoologischen Abteilung des NHMund Kurator der Ausstellung. So kam Darwin auch nie nach Wien, es gibt keine persönlichen Erinnerungsstücke, das Museum hilft sich mit dem Fundus und Leihgaben. Eine, teures Wedgwood-Porzellan vom Museum für angewandte Kunst, zeigt etwa, warum Darwin, der nie einem bezahlten Beruf nachging, sich das Leben als Privatgelehrter leisten konnte: Er kam aus reicher Familie, und er heiratete eine Cousine, Emma Wedgwood aus der Porzellandynastie.


Scheue Regenwürmer. Ansonsten ist erwieder als Puppe da – in einer Hängematte in der Schiffskabine –, natürlich ist auch das Buch da, das am 24.November 1859 erschien und in der gesamten Auflage von 2500 Exemplaren am gleichen Tag verkauft war. Hineinblättern kann man nicht, aber nebenan lockt ein Vorhang: „Lüften Sie das Geheimnis der Regenwürmer! Seit Mitte 2009 graben unsere Würmer.“ Das spieltdarauf an, dass die Regenwürmer Darwin sein Leben lang beschäftigten – er spielte ihnen sogar auf dem Klavier vor, um zu testen, ob sie hören können –, das soll wenigstens darauf anspielen: Wenn man den Vorhang lüftet und auf ein Terrarium voller Erde schaut, muss man Glück haben, die Würmer zeigen sich nicht gern. Dafür gibt es in viel Bild und Wort Mitstreiter und Gegner Darwins zu sehen, Finken von den Galapagos auch, feinst präpariert, und die Schildkröten sind wieder da, diesmal vor einer Fototapete der Galapagos.

Dann, im zweiten Saal, geht es zur Sache, sie heißt „Biodiversität“ und greift mit vollen Händen aus dem Fundus: Der Löwe springt, die Giraffe äst, irgendwo ist die Schildkröte schon wieder, ein Gorilla mit einer Ratte auf dem Kopf vervollständigt das Tableau. Unten. Oben, in den Lüften, schweben nicht nur Vögel, sondern auch Fische und Quallen. Na ja, zu solchen Späßen war die Evolution selbst denn doch nicht aufgelegt.

Dafür wird sie nun systematisch abgearbeitet, Schaukasten auf Schaukasten Belehrung im Volkshochschulstil der 50er-Jahre („Variation+Überproduktion+Selektion=Evolution“). Geweckt wird man von einem Großfoto, Marilyn mit wehendem Rock, darüber fett: „Eine Milliarde Jahre Sex!“ Dass sich in denen wenig geändert hat, illustriert der nächste Schaukasten mit kopulierenden Schildkröten, daneben ein Deo, ein Spielzeug-Ferrari, Pumps und Lippenstift. Auch eine Peniskalebasse und eine Schamkapsel erheischen Aufmerksamkeit, und natürlich Vögel mit Prunkgefieder etc.

Folgt, Saal 3, des „Pudels Kern“, die Wissenschaft seit Darwin, Genetik und Molekularbiologie. Die Ausstellung fächert sich auf, fast ins Beliebige, es gibt Schaukästen über DNA und Gentechnik („Fluch oder Segen?“), es gibt Bakterien und Sichelzellenanämie, es gibt einen Leuchthasen mit Fluoreszenzprotein und noch viel mehr.


Publicityträchtiges Schaf. Und es gibt einen heimlichen Star, das Klonschaf „Dolly“: Man hat seine Totenmaske vom National Museum of Scotland ausgeborgt, aufwendig, für sie musste im Flugzeug ein Sitzplatz gebucht werden. Sie ist eindrucksvoll.

Nur: Was soll sie in einer Ausstellung über Darwin? Ja, ja, wir nehmen die Evolution in die Hand. Aber in der Abteilung über die heutige Forschung hätte man doch eher sehen wollen, wie sie Darwins Theorie weiter treibt und verfeinert. Immerhin, ein Mal zeigtsich etwas: NHM-Mitarbeiter haben im Oman einen blinden Höhlenfisch gefunden, er schwimmt in einem verdunkelten Aquarium, daneben im Licht seine sehenden Verwandten. Die Forscher wollen mit Genanalysen erkunden, wann der blinde blind wurde.

Der Ausgang naht, mit ihm die Frage aller Fragen. Erst kommt man an Schädeln und Skeletten unserer frühen Ahnen vorbei – Replika, aber stark –, dann an ausgestorbenen Tieren, von denen nur das NHM noch „Stopfexemplare“ hat, Blaubock und Beutelwolf etwa, Aha-Effekt: Arten kommen nicht nur, sie gehen auch. Dann sieht man endlich sich selbst im mannshohen Spiegel. Und für die, die die Botschaft immer noch nicht begriffen haben, steht sie drüber: „Sind wir die Nächsten?“

Am Eingang sitzt Darwin immer noch auf seiner Schildkröte, und jetzt versteht man seinen Wink: Er weist zur frischen Luft.

Die Ausstellung läuft bis 5.4.2010, sie wird von vielen Veranstaltungen begleitet (www.nhm-wien.ac.at). Und eineInnovation hat sie doch: Man kann sich über das Handy führen lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2009)

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