Kann man dem Pinselstrich Demenz ablesen?

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Im Alterswerk von Künstlern soll sich an fraktalen Mustern zeigen, ob der Geist noch rege ist.

„Ich kann den Fluss der Farben kontrollieren; es gibt keinen Zufall.“ Das entgegnete Jackson Pollock Kritikern, die seine Bilder mit den Farbspritzern auf der Arbeitskleidung von Anstreichern verglichen. Und die Arbeitsweise des Künstlers sah schon auch seltsam aus, er legte Papierbahnen auf den Boden, balancierte darauf herum und träufelte Farbe darüber, mit dem Pinsel oder direkt aus der Tube. Das brachte ihm den Spitznamen Jack the Dripper ein, und auf dem Kunstmarkt höchstes Ansehen, 2006 wechselte „No 5, 1948“ für 140 Millionen Dollar den Besitzer, das war lange Zeit der höchste Preis, der für ein Bild bezahlt wurde.

Da war Pollock gerade 50 Jahre tot. Er hatte ein chaotisches Leben geführt, war Alkoholiker, hatte bisweilen Einkäufe mit Bildern bezahlt, ein Werkverzeichnis gab es nicht. Das brachte Probleme, als 2005 gleich 32 neue „Pollocks“ auftauchten. Waren sie echt, gab es irgendwelche Muster in authentischen Schüttbildern, die man zum Vergleich hätte heranziehen können?

Richard Taylor, ein Physiker und Kunsttheoretiker, glaubte sie in Fraktalen zu findend, das sind geometrische Muster, in denen das kleinste Detail – jeder Pinselstrich etwa – so aussieht wie das große Ganze und alle Stufen dazwischen. Diese fand er in Pollocks verbürgtem Werk, nicht aber in den neuen Funden: Er erklärte sie für Fälschungen. Chemiker aus Harvard bestätigten das später: Die Bilder hatten Farbpigmente, die es zu Pollocks Lebzeiten nicht gab.

Trotzdem blieben Fraktale als Kriterien umstritten, sie werden es bleiben, auch wenn bzw. weil gerade ein neuer Anlauf kommt. Diesmal geht es um den Geisteszustand von Künstlern, Alex Forsythe, Psychologe der Uni Liverpool, hat Taylor aufgenommen und mit seiner Methode 2029 Werke von sieben Malern analysiert: Manche alterten geistig rege (Chagall, Monet, Picasso), bei anderen setzten Krankheiten dem Gehirn zu (Dalí und Morrisseau litten an Parkinson, de Kooning und James Brooks versanken in Alzheimer).

Bei den ersten drei blieben, über alle Stilwechsel, die fraktalen Muster konstant, bei den anderen gerieten sie aus den Fugen, lang bevor die Leiden diagnostiziert wurden (Neuropsychology 31, S. 1). Kann man also Bilder zu Frühdiagnosen nutzen? Von Taylor erhält Forsythe laut „Guardian“ Lob („großartige Demonstration, wie Kunst und Wissenschaft zusammenfinden“), Kate Brown, Ärztin am Hamilton College (New York), sieht es anders: „Kompletter und heilloser Unfug.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2017)

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