Wie Turner das Licht auf die Leinwand zauberte

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Ein Gel aus Harz und Blei ermöglichte es, die alten Beschränkungen der Ölfarbe zu sprengen.

Keiner konnte mit dem Pinsel Licht so auf Leinwand bannen wie William Turner, der die Strahlen Schicht für Schicht durch luftiges Gewölk oder auch düstersten Rauch brechen ließ. Wie schaffte er das? Nun ja, er hatte einen neuen Blick auf die Welt, aber frühere Meister waren auch nicht blind. Sie hatten allerdings ein Materialproblem: Ihre Farben bestanden aus pflanzlichen Ölen und Pulvern von Farbpigmenten. Das trocknet langsam, und wenn man mehrere Schichten übereinanderlegen will, kann das Werk Monate brauchen, Jahre gar.

Turner hingegen schaffte ein Bild binnen dreier Tage, er demonstrierte es 1841 in der Royal Academy of London mit „Dawn of Christianity (Flight into Egypt)“. Das gelang ihm, weil er der Farbe etwas hinzufügte, ein Gel, es hat viele Namen – Gumtion oder Megit oder auch, seiner gelben Farbe wegen: Butter der Maler –, und nicht nur Turner verwendete es, aus dem 19. Jahrhundert sind viele Rezepturen überliefert. Chemiker um Laurence de Viguerie (Sorbonne, Paris) haben zwanzig nachgekocht, um dem Geheimnis des Gels auf die Spur zu kommen: Wie bildet sich diese Matrix, wie bindet sie Farbe an sich, wie lässt sie sie trocknen/altern?

Gumtion wird zusammengerührt aus Blei – entweder in Form von Acetat in Lösung oder pulverförmigem Bleioxid (PbO) –, Leinöl und Mastixharz, das gibt die Butterfarbe. Es stammt von Pistazienbäumen, ist gummiartig und enthält unter anderem verschiedenste Triterpenoide. Deren Ringe bilden untereinander Verbindungen, wenn noch etwas hinzukommt, Blei. Das kommt doppelt zur Wirkung: Zum einen wird es selbst in das Gel eingebaut und hilft, Farbpigmente an ihrem Ort zu halten, wenn die nächste Schicht über die noch nicht trockene gelegt wird. Und zum anderen sorgt es als Katalysator für die raschere Bildung von freien Radikalen, die ihrerseits das Altern bzw. Trocknen der Harze im Gel – und das der Öle in der Farbe – beschleunigen.

Organisch-anorganische Hybride

Vigueri hat all das mit verschiedenen spektroskopischen Verfahren beobachtet und zudem dadurch bestätigt, dass er die Bildung freier Radikale entweder beschleunigte (mit UV-Licht) oder bremste (mit Radikalfängern): Im ersten Fall trocknete alles noch rascher, im zweiten brauchte es länger (Angewandte Chemie 9. 1.): „Unsere Studie liefert damit einen neuen Einblick in das Verhalten dieser hybriden organisch-anorganischen Materialien“, schließt der Forscher.

Turner brauchte sich nicht um molekulare Details zu kümmern, er und andere waren durch schlichtes Experimentieren auf die Rezeptur gekommen und hatten einfach Freude daran, rasch eine Schicht auf die andere legen zu können. Die ersten Betrachter hatten sie auch – nicht immer am Inhalt, aber an der Leuchtkraft und dem schwebenden Strich –, Restauratoren hingegen plagen sich eher damit: Turner bereitete ihnen schon immer das Problem, dass manche der von ihm verwendeten Pigmente rasch verblassen, durch das Gumtion wird es verschärft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2017)

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