Als die hässliche Bergwelt schön wurde

ALPINE SKIING - FIS Ski WC St. Moritz
ALPINE SKIING - FIS Ski WC St. Moritz(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Mario Kneisl)
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Perspektivenwechsel. In der Renaissance hat man – auch auf der Suche nach heilbringenden Pflanzen – die Berge erkundet. Die in Neulatein verfassten Berichte liegen in Buchform vor und werden zur Ski-WM in St. Moritz präsentiert.

Aus hässlich wird schön, aus schrecklich wird attraktiv, aus bedrohlich wird friedvoll. William Barton spricht mehrmals von „ugly“, wenn er alte Berichte über Gebirgslandschaften zitiert. Dabei bezieht er sich auf lateinische Texte aus der Antike und auf Berichte aus dem Mittelalter. Das negative Bewusstsein der Römer war freilich durch die Alpenüberschreitung Hannibals 217 v. Chr. und durch den Furor Teutonicus hundert Jahre später entscheidend geprägt.

William Barton hat nun mit seiner Forschungsarbeit „Mountain Aesthetics in Early Montain Modern Latin Literature“, die nun als Buchform vorliegt (Routledge Verlag, London), die Trendwende in der Wahrnehmung der Gebirgszüge – nämlich als Orte des Grauens zu positiven, ja anziehenden und interessanten Gegenden – ausgemacht: Die positive Sicht der Berge hat in der frühen Neuzeit begonnen. Und nicht, wie bisher vielfach angenommen, mit den Landschaftsschilderungen der deutschen Romantik.

Barton ist Engländer (Jahrgang 1987), er studierte klassische Sprachen in London und Calgary (Kanada) und war schon früh mit der klassischen Philologe der Uni Innsbruck in Verbindung. 2011 hat das Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI) für Neulateinische Studien in Innsbruck ein Forschungsprojekt zu den Bergen ausgeschrieben, „und da habe ich mich sofort beworben“, erzählt Barton. Er hat sich nicht nur den neulateinischen Quellen verschrieben, sondern auch den Bergen, dem Gebirgswandern und dem Klettern. Von 2011 bis 2015 lief das Forschungsprojekt, dann folgte die Umsetzung in die Buchform. Die Tirol Werbung wird nun das Buch in der kommenden Woche im Rahmen der alpinen Ski-WM in St. Moritz vorstellen.

Petrarca als erster Alpinist

Als erster Dichter, der sich der Bergwelt verschrieben hat, gilt Francesco Petrarca, der im Jahr 1336 aus eigenem Antrieb den 1912 Meter hohen Mont Ventoux in der Provence bestiegen hat. Das war in diesem Zeitalter eine bis dahin nicht gekannte Unternehmung. „Zuerst von ungewohntem Zug der Luft und dem freien Schauspiel ergriffen, stand ich wie ein Staunender, ich schaute zurück, da lagerten die Wolken zu meinen Füßen“, so beschrieb der Renaissancedichter in einem Brief seine Eindrücke, als er den Gipfel erreichte.

Von 1350 bis 1550 hat der LBI-Forscher mehr als 100 lateinische Schriften untersucht, Briefe, naturwissenschaftliche Abhandlungen, Gedichte, Traktate, „fast alle möglichen schriftlichen Zeugnisse, kaum aber Romane“. Die meisten Quellen liegen aus Norditalien, der Schweiz, Deutschland und Österreich vor, alle in Neulatein verfasst. Sieht man von der Erkundung Petrarcas ab, so ist der Antrieb der Beschäftigung mit der Bergwelt auf naturkundliche, medizinische und geografische Studien zurückzuführen. So suchte man für Heilbehandlungen neue wirkungsvolle Pflanzen.

Als Beispiele führt Barton zwei aus der Schweiz stammende Gelehrte aus dem 16. Jahrhundert an: Conrad Gesner, der Schriften zur Botanik, zur Mineralogie und zu allgemeinen Naturbeobachtungen der Alpen verfasste. Und Benedikt Marti, der eine Darstellung der Alpenflora herausgab. „Ich bin durch eine Art natürliche Liebe zu den Bergen hingezogen, sodass ich mich nirgendwo lieber aufhalte als im Gebirge“, bekannte Marti.

Wandel der Ästhetik auch heute

Barton sieht auch eine Parallele zur heutigen Umweltbetrachtung. Dass nämlich aus abgelehnten und als unschön empfundenen Landschaften durchaus solche mit einer zu entdeckenden Ästhetik werden können. Denn der Neulateiner geht davon aus, dass es sehr wohl unschöne Gegenden gibt, er verwendet da die Bezeichnung „swamp“, also Sumpf oder Morast. William Barton: „In Zukunft kann sich das Empfinden aber ändern, wir sehen das an der Einstellung zu den Bergen vor 500 Jahren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2017)

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