In der Apotheke der Neandertaler: Aspirin und Penicillin

„Schon wieder Grünzeug!“ So stellt man sich den Neandertaler vor, in einer Rekonstruktion.
„Schon wieder Grünzeug!“ So stellt man sich den Neandertaler vor, in einer Rekonstruktion.(c) REUTERS (NIKOLA SOLIC)
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Im Archiv des Zahnsteins zeigt sich, dass nicht alle Neandertaler fast nur von Fleisch lebten. Manche waren ganz im Gegenteil Vegetarier, sie lebten in Regionen, in denen es nichts zu jagen gab. Dafür kannten sie die Pflanzen und Pilze um so besser, auch die mit Heilkraft.

Auch Neandertaler haben gegessen, was auf den Tisch kam bzw. kommen konnte. Das ist nicht ganz trivial, denn lange suchte man in der Ernährung die Erklärung für ihr rätselhaftes Verschwinden: Jahrhunderttausende waren sie als einzige Menschen in Europa und hatten den Eiszeiten getrotzt. Dann kam vor 35.000 Jahren ein Neuer, Homo sapiens, bald darauf war der Neandertaler weg (körperlich, in unseren Genen blieb er, wir haben zwei bis vier Prozent von ihm).

Warum weiß man nicht, aber lange hielt sich das Bild von den körperlich und geistig gleichermaßen Groben, die der Erfindungskraft von H. sapiens schlicht nicht gewachsen waren: Sie hätten sich etwa ausschließlich von Fleisch ernährt – von dem großer Tiere wie Mammuts –, er hingegen sei mit feineren Jagdtechniken auch hinter Kleinem wie Kaninchen her gewesen. Und vor allem habe er die ganze Breite pflanzlicher Nahrung genutzt, sie hingegen überhaupt nicht. Dieses Bild stimmt bei der Jagd schon lange nicht mehr, und manches deutete darauf, dass sie Grünzeug keineswegs verschmähten: 2014 fand man in versteinertem Kot – Koprolithen –, den Neandertaler vor 50.000 Jahren in der spanischen Höhle El Salt hinterlassen hatten, Biomarker von Pflanzenfetten und -ölen.

Nichts als Nüsse, Moos, Rinden & Pilze

Nun hat Alan Cooper (Adelaide) ein zweites Archiv angezapft, das des Zahnsteins von Neandertalern, die in Belgien (Spy II) bzw. in Spanien lebten, in der „Knochenhöhle“, El Sidrón. In deren Zahnstein blieben selbst Gene von dem erhalten, was durch den Mund gegangen ist. In Belgien war das fast nur Fleisch, von Wollnashörnern und Wildschafen, zum Abrunden gab es Pilze. Das passt zur Umwelt: Spy II lag in einer wildreichen Steppe. Ganz anders El Sidrón, die Höhle war in dichten Wäldern, in denen schwer zu jagen war: Fleisch kam kaum auf den Tisch. Diese Neandertaler waren Vegetarier, aßen Nüsse, Moos, Rinde und Pilze.

Und einer von ihnen hatte, das wusste man schon von den Knochen her, einen bösen Abszess im Mund, er hatte auch, das zeigt der Zahnstein, einen Parasiten im Darm, der Diarrhöe brachte. Zum Lindern griff der Geplagte in die Apotheke der Natur: Er kaute Weidenrinde, das taten viele Naturvölker später auch: Einer ihrer Inhaltsstoffe wird in der Leber zu Salicylsäure. Die veredelten Chemiker der Firma Bayer 1897 zu Acetylsalicylsäure, vulgo: Aspirin.

Aber der Neandertaler kaute nicht nur Rinde, sondern auch Schimmelpilze. Und zwar von der Art – Penicillium –, an der Alexander Fleming 1928 bemerkte, dass sie etwas Bakterientötendes produziert. „Neandertaler hatten eine gute Kenntnis von Medizinalpflanzen“, schließt Cooper, „das kontrastiert mit dem simplistischen Bild, das wir von unseren Verwandten haben“ (Nature 8. 8.).

Aber all ihr Wissen half denen in El Sidrón nicht. Zwölf hat man gefunden, zerschlagen in 1800 Knochenfragmente, manche hatten Kratz- und Schneidespuren von Steinmessern: Die Gruppe wurde offenbar von anderen Neandertalern erschlagen. Und die aßen auch, was ihnen auf den Tisch kam.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2017)

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