Reden mit Nachbar und Freund erhält die Sprache

Symbolbild zweisprachige Ortstafel
Symbolbild zweisprachige OrtstafelAPA/GERT EGGENBERGER
  • Drucken

Sprachforscher haben erstmals mit physikalischen Methoden berechnet, wie sich Sprache ausbreitet. Am Fallbeispiel Südkärnten kam es auf die Zahl der Slowenischsprecher an, ob sich die Sprache hält oder gewechselt wird.

„Sprache ist etwas Immaterielles, nichts Greifbares. Wir wollten wissen, ob man die Ausbreitung mit Methoden der Physik verstehen kann, die sonst den Transport von materiellen Dingen beschreiben“, sagt Katharina Prochazka. Sie hat an der Uni Wien sowohl Linguistik als auch Physik studiert. Gemeinsam mit dem Physiker Gero Vogl wendet sie nun mathematische Modelle, die man für die Ausbreitung von Atomen, Flüssigkeiten oder Schadstoffen einsetzt, auf Sprachen an: Wovon hängt es ab, dass man eine Sprache aufgibt und zu einer anderen wechselt? Wie „fließt“ der Gebrauch einer Sprache in Raum und Zeit?

Als Fallstudie wurde Südkärnten gewählt, da sich hier zwei Sprachen, Slowenisch und Deutsch, gegenseitig beeinflussen und es erstaunlich gute Datensätze gab. „Die Statistik Austria stellte uns die Datensätze der Volkszählungen zu Verfügung, sodass wir die Zahl der Slowenischsprecher in der Monarchie und nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichen konnten“, erzählt Prochazka. Nach langer Digitalisierungsarbeit der Einträge aus den Jahren 1880 bis 1910 und Sonderauswertung der Daten von 1971 bis 2001 konnte erstmals das Modell, das die linguistisch gebildeten Physiker entwickelt haben, in einer realen Situation getestet werden. Normalerweise wird der Sprachgebrauch grob in Prozentsätzen pro Gemeinde angegeben, aber Prochazka und Vogl konnten die Ausbreitung in höherer Auflösung verfolgen, da sie aus jeder Ortschaft die genauen Daten hatten.

Die Pfarre hat wenig Einfluss

„In der Linguistik hat man oft sehr viele Daten, aber kann selten quantitative Aussagen machen. Mit diesem Datensatz und den physikalischen Methoden konnten wir erstmals eine solche Dynamik quantitativ berechnen und darstellen“, so Prochazka. Eines der Ergebnisse, das wenig überraschend war, besagt, dass ein Hauptfaktor für den Spracherhalt in einer Region die Zahl der Sprecher dieser Sprache in dem Ort und in der Nachbarschaft ist: Je mehr Leute beispielsweise Slowenisch sprechen, und je mehr Kontakt mit Menschen, die auch Slowenisch sprechen, besteht, umso besser erhält sich die Sprache und umso weniger wird ins Deutsche gewechselt.

Das klingt sehr logisch, wurde aber vorher nie so detailliert und mathematisch fundiert in einer Computersimulation sichtbar. „Sehr überrascht hat uns hingegen, dass die Sprache, die man in der Pfarre spricht und die Sprache, in der an der Schule unterrichtet wird, weniger Einfluss darauf hat, ob die Sprache beibehalten oder gewechselt wird“, so Prochazka.

Ebenfalls überraschend war, dass das Computermodell bei der Simulation in großen Städten nicht mit den Daten aus den Volkszählungen übereinstimmte: Die Dynamik der Sprachverbreitung in einer Großstadt hält sich also nicht an physikalische Gesetze. In der Zeit zwischen 1880 und 1910 verschwand Slowenisch in der Realität schneller in Klagenfurt und Villach, als es das Modell vorhergesagt hätte. Hingegen nahm die Zahl der Slowenisch Sprechenden in der Zeit von 1971 bis 2001 schneller zu, als im Modell berechnet. „Wir hätten gedacht, dass Slowenisch Sprechende, die nach Klagenfurt kommen, schneller ihre Sprache aufgeben, weil man mit Deutsch bessere ökonomische Möglichkeiten hat. Doch dem ist anscheinend nicht so“, erzählt Prochazka.

Donauschwaben, Anglizismen

Die Forscher wollen diese Methode nun auch auf anderen Gebieten testen, wo zwei Sprachen nebeneinander vorkommen. Gute Daten gibt es etwa von den Donauschwaben, der deutschen Minderheit in Ungarn. „Wir überlegen auch, ob wir damit die Verbreitung von einzelnen Wörtern untersuchen können anstatt von ganzen Sprachen“, sagt Prochazka. So könnte man etwa verfolgen, wo und wie sich Anglizismen im deutschsprachigen Raum ausbreiten. (vers)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.