Pilgerfahrt ins gelobte Start-up-Land

Die Skyline von Tel Aviv. In Israel sei man risikofreudiger bei Innovationen, Kritik werde offen geäußert, lernten die Besucher.
Die Skyline von Tel Aviv. In Israel sei man risikofreudiger bei Innovationen, Kritik werde offen geäußert, lernten die Besucher.(c) Timo Küntzle
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In Israel wollten ACR-Forscher Kontakte knüpfen und sehen, wie Wissenschaft und Wirtschaft kooperieren. Von der Hemdsärmeligkeit hätte man gern etwas mitgenommen.

Kräftig weht das rot-weiß-rote Banner an diesem frisch-kalten Märzabend über der Altstadt von Jerusalem. Der Blick von der Dachterrasse des österreichischen Hospiz, Via Dolorosa 37, hinüber zur goldenen Kuppel des Felsendoms, zum ewig bitterlich umkämpften Tempelberg und über all die Synagogen, Kirchen und Moscheen, gehört zweifelsfrei zu den touristischen Höhepunkten dieser Reise.

Gekommen ist die rund 25-köpfige Delegation des Forschungsnetzwerks Austrian Cooperative Research (ACR) aber nicht, um Israels Vergangenheit zu bestaunen. Vielmehr will sie erfahren, wie der auf einen schmalen Streifen Land eingepferchte Staat die Zukunft meistern will. Ein Mosaikteilchen des Plans war Stunden zuvor beim Blick aus dem Bus zu sehen: Gerade rammen Arbeiter eine neue Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke in den Fels. 65 Kilometer liegen zwischen Tel Aviv und dem 800 Meter höher gelegenen Jerusalem. Damit die Gleise nicht zu steil werden, kommt der Jerusalemer Bahnhof 80 Meter unter die Erde. Jerusalem 21 – eine Analogie zu Stuttgart 21.

Patente bleiben im Haus

„Israel ist das beste Land der Welt, um eine Firma zu gründen. Und das schlechteste, um sie am Leben zu erhalten“, erzählt Harold Wiener von Terra Venture Partners, einem privaten Fonds, der neuen Ideen beim Marktzugang hilft. Investiert der Fonds 100.000 Dollar in ein ausgesuchtes Start-up, gibt der Staat 600.000 Dollar dazu. Ohne weitere Prüfung.

Man rühmt sich, dass kein anderes Land pro Kopf mehr Risikokapital zur Verfügung stellt. Ein besonderes Anreizsystem für produktorientierte Forschung stellt Wayne Kaplan vor. Er sorgt an der Technion-Universität von Haifa für den Technologietransfer. Selbst wenn Firmen für die Forschung bezahlt haben, die resultierenden Patente bleiben im Haus. Die Hälfte der Einnahmen aus Lizenzgebühren fließt ins private Börserl der Beteiligten. „Wir haben einige sehr reiche Professoren und Studenten“, sagt Kaplan. In Sachen „Jobs und Werte schaffen“ bevorzugt er aber das hauseigene Förderprogramm für Firmengründer. Zwischen 15 und 100.000 Dollar bekommen seine „Kids“, wie er die Studierenden nennt, um eine Idee soweit voranzubringen, dass Investoren aufspringen.

„Wohin man auch kommt, es gibt keine Berührungsängste zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Und immer ist das Ziel, ein erfolgreiches Produkt auf den Markt zu bringen“, analysiert ACR-Präsident Martin Leitl.

Spätestens am zweiten Abend, als man sich auf der Strandpromenade von Tel Aviv trifft, macht der Begriff „Mentalität“ die Runde. Was er bedeuten könnte, lässt sich beim Anblick Anfang-20-jähriger Frauen erahnen, die mit Gewehr über den Schultern am Bahnsteig warten oder freitagabends an der Klagemauer fröhlich tanzen. Militär und Polizei prägen das Straßenbild. Bei mancher Alltagsszene möchte man glauben, sie sei von einem Regisseur inszeniert.

Von den zehn Prozent Ultra-Orthodoxen und 21 Prozent arabischen Israelis abgesehen, müssen Frauen zwei und Männer drei Jahre in die Armee. Schließlich gibt es Nachbarn, die einen von der Landkarte wischen wollen. Eine Bedrohung, die auch sinn- und gemeinschaftsstiftend wirkt. Sie dürfte auch ihren Anteil an Pioniergeist und Hemdsärmeligkeit der Israelis haben. „Beim Militär gibt es nach jedem Manöver eine Kritikrunde. Der Soldat mit dem niedrigsten Rang beginnt. So lernen wir ohne Scheu direkt zu sagen, was schiefläuft. Scheitern ist okay.“ So erklärt es Kaplan am Technion.

Risiko wird gefördert

Das Ergebnis: Zu jedem Zeitpunkt sind in Israel 6000 Start-ups aktiv. Zwar verschwinden viele auch wieder, aber es zählt, was unter dem Strich bleibt. Der Hang zum Draufgängerischen geht so weit, dass sich die staatliche Innovationsbehörde damit zufrieden gibt, nur rund 35 Prozent ihrer Investitionen zurückzubekommen. „Bei 60 Prozent wäre das Risiko nicht hoch genug gewesen“, erklärt Anya Eldan von der Start-up-Abteilung der Innovationsbehörde.

Ach, könnte man ein wenig dieser staatlich verordneten Risikokultur mit nach Hause nehmen, wird sich mancher gedacht haben. Kurz vor Heimflug spricht ACR-Geschäftsführer Johann Jäger Tacheles: „In Österreich dürften staatliche Förderstellen niemandem Geld geben, ohne dass sie alles ganz genau prüfen. Sonst kommt die interne Revision und fragt: ,Nach welchen Kriterien hast du hier 1000 Euro vergeben?‘ Und dann: Rübe ab!“

IN ZAHLEN

4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts investiert Israel in Forschung und Entwicklung. In Österreich sind es derzeit rund drei Prozent.

4,8 Milliarden Dollar Risikokapital bekamen israelische Start-ups 2016 zur Verfügung gestellt. Elf Prozent mehr als im Rekordjahr 2015.

320 multinationale Konzerne betreiben in Israel sogenannte Forschungs- und Entwicklungszentren. Darunter Facebook, Google, Siemens und Coca-Cola.

Compliance-Hinweis:

Die Reise des Autors nach Israel erfolgte auf Einladung der Austrian Cooperative Research (ACR).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2017)

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