Biologie

Wurden die Gehirne der Primaten zum Früchtepflücken groß?

Schimpansen haben 450 Kubikzentimeter Gehirnmasse, das ist um einiges mehr als bei Hyänen.
Schimpansen haben 450 Kubikzentimeter Gehirnmasse, das ist um einiges mehr als bei Hyänen.Reuters
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Die unterschiedlichen Gehirngrößen zwischen und innerhalb einzelner Ordnungen sind ein altes Rätsel. Manche Antworten setzen auf die Ernährung, andere auf das Sozialleben. Sehr befriedigend sind sie alle nicht, auch die jüngste ist es nicht.

Die Menschen halten sich und ihre Ahnen für so außergewöhnlich, dass sie allen miteinander den Titel „Primaten“ verliehen haben, im Deutschen hieß es: „Herrentiere“. Das geht niemandem mehr über die Lippen, aber das Primat der Primaten ist geblieben, als sei die Evolution ein Gymnasium, das mit der Oberklasse abgeschlossen wird. Unterfüttert wurde diese Vorrangstellung mit der Größe des Gehirns sowohl der Primaten gegenüber anderen als auch innerhalb der Primaten: Schimpansen haben 450 Kubikzentimeter, das ist um einiges mehr als bei Hyänen – die gestreiften in Asien haben 110, die gefleckten in Afrika 170 cm3 –, und um einiges weniger als bei uns. Wir haben 1200, im Durchschnitt, es schwankt stark von Individuum zu Individuum. Woher das kommt, ist ein altes Rätsel, lange setzte man auf die Ernährung, auf energiereiche. Fleisch, vorsichtiger: tierische Proteine. Aber Fleisch fressen Hyänen auch, und Feuchtnasenaffen ernähren sich viel von Insekten, aber klein sind ihre Gehirne doch.

„Social brain“? Hyänen heulen dagegen

Also kam eine Gegenhypothese, die vom „social brain“: Je komplexer das Sozialleben sei, desto mehr Anforderungen stelle es an das Gehirn. Das klingt plausibel, stimmt aber auch nicht immer, wieder sind Hyänen ein prominentes Gegenbeispiel, sie haben ein höchst elaboriertes Sozialleben. Und dann ist auch gar nicht klar, was das Komplexe am Komplexen ist: Geht es um die Gruppengröße? Die kann etwa bei Schimpansen von 30 bis 120 reichen, die Gehirne sind doch gleich groß. Geht es um die Arbeitsteilung oder um die Lebensführung, etwa darum, ob Geschlechter sich zu dauerhaften Paaren zusammenfinden oder nicht?

Dazu gibt es widersprüchliche Befunde: Die einen deuten darauf, dass Monogamie Gehirne klein hält, weil nicht immer Partner gesucht und um sie geworben bzw. gekämpft werden muss. Die andere sieht im Gegenteil bei Paaren große Gehirne, weil die Partner einander mit Eifersucht im Auge behalten (und selbst nach Gelegenheit Ausschau halten).

Nun kommt ein neuer Vorstoß, er findet den Schlüssel wieder in der Ernährung: Alex DeCasien (New York University) hat unter Primaten so breit verglichen wie noch nie – 140 Arten –, er kommt zu dem Schluss, dass die Gehirngröße mit der Schwierigkeit der Futtersuche zusammen hängt. Hirne von Blattfressern sind kleiner als die von denen, die Früchte pflücken, das braucht einen anderen Blick, und was harte Schalen hat, muss noch geknackt werden. Die alte Hypothese mit dem Energiegehalt kann DeCasien nicht bestätigen: Die Gehirne von Omnivoren, die auch Fleisch verzehren, sind kaum größer (Nature Ecology & Evolution 27. 3.).

Wohl nicht das letzte Wort

Geht es so einfach? Nature lässt die Publikation von einem kritischen Kommentar begleiten: DeCasien betrachte nur die absolute Größe, nicht die relative, auch nicht die einzelner Hirnareale. „Ich zweifle“, schließt Chris Vendetti (Reading), „dass das das letzte Wort sein wird.“ Das wird sich wohl erst finden, wenn die Primaten ihren Primat aufgeben und nachsinnen, ob der Schlüssel nicht bei den Hyänen bzw. darin liegt, dass gleiche Herausforderungen mit verschiedenen Gehirnen bewältigt werden können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2017)

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