„Die Wissenschaft wirkt wie ein Seismograf“

In San Francisco demonstrierten Forscher bereits im Dezember. Für den Wiener Marsch gab es online 1000 Zusagen – und 150.000 Interessenten.
In San Francisco demonstrierten Forscher bereits im Dezember. Für den Wiener Marsch gab es online 1000 Zusagen – und 150.000 Interessenten.(c) Marcio Jose Sanchez / AP / picturedesk.com
  • Drucken

Heute gehen Forscher rund um den Globus auf die Straße. Deren March for Science soll aber nicht nur akademische, sondern auch demokratische Werte einmahnen, sagt Oliver Lehmann, Organisator der Wiener Veranstaltung.

Die Presse: Warum protestieren Österreichs Forscher? Hat die Politik Donald Trumps bereits konkrete Konsequenzen für sie?

Oliver Lehmann: Dazu ist es wahrscheinlich zu früh. Der Aufruf – sowohl in den USA als auch bei uns – ist primär ein Aufruf für die Wissenschaft und nicht gegen bestimmte Regierungen. Das würde viel zu kurz greifen. Es geht darum, für die Grundbedingungen von Wissenschaft einzutreten. Das sind faktenbasierte Wahrheit und Offenheit. Ohne diese beiden Werte funktioniert Wissenschaft nicht, und ohne diese funktionieren auch die Demokratie und die offene Gesellschaft nicht. Die Wissenschaft hat hier die Funktion eines Seismografen, der frühzeitig auf gesellschaftliche Änderungen reagiert und darauf aufmerksam macht.


Die Aktion ist also mehr als ein Marsch für die Wissenschaft?

Das zentrale Anliegen ist freilich, die Öffentlichkeit auf die Wissenschaft aufmerksam zu machen: zu zeigen, dass wichtig ist, was hier passiert. Aber es geht auch darum, die Wissenschaft mit der Öffentlichkeit zu verbünden. Der Wissenschaft auch deutlich zu machen, dass es notwendig ist, die Öffentlichkeit zu suchen und an die Öffentlichkeit zu gehen.

Ein Anlass des Marschs ist aber schon die Wissenschaftspolitik Trumps. Was kreiden Sie dieser besonders an?

Die konkrete Auseinandersetzung mit der Politik Donald Trumps überlassen wir den amerikanischen Kollegen, die sich damit im Detail befassen. Worum es uns aber schon geht, ist, einem sich breitmachenden Klima der Faktenfeindlichkeit und Verantwortungslosigkeit, das in den USA durch einen politischen und gesellschaftlichen Diskurs forciert wird, entgegenzuwirken und zu sagen: Das geht nicht. Vernünftige Politik braucht eine fakten- und evidenzbasierte Grundlage. Ist diese nicht vorhanden, greift das Ressentiment um sich. Das ist natürlich in der Politik nie auszuschließen, kann aber nicht dauerhaft die Grundlage von Entscheidungen sein.

Was erhofft man sich vom Marsch? Glaubt man tatsächlich, Donald Trump damit zu beeindrucken?

Die Frage, was passiert, nachdem die letzten Transparente zusammengerollt sind, ist ganz wichtig. Was dieser Marsch leisten kann, ist, Wissenschaftler zu bestärken, weiterhin an die Öffentlichkeit zu gehen. Ihre Einrichtungen zu öffnen, den öffentlichen Diskurs zu suchen, sich einzubringen in öffentliche Debatten. Das heißt, nicht einfach zur Kenntnis zu nehmen, wenn klimapolitisch feindliche Ansagen gemacht werden.

Lässt sich aus den Online-Rückmeldungen herauslesen, worum es den österreichischen Teilnehmern geht?

Für viele ist es ein erstmaliges Erlebnis, für die Inhalte von Forschung auf die Straße und an die Öffentlichkeit zu gehen. Und natürlich geht es auch um die Unterstützung der amerikanischen Kollegen. Es ist sehr verblüffend, wenn auf der Nordseeinsel Helgoland genauso ein Marsch stattfindet wie in Christchurch, Neuseeland. Es ist ein sehr bestärkendes Gefühl, zu wissen, dass man hier nicht allein ist. Man agiert in einer globalen Gemeinschaft, die von denselben Werten überzeugt ist: Offenheit und faktenorientierte Wahrheit.

Was genau ist damit gemeint?

Ein Experiment muss in Klosterneuburg genauso funktionieren wie auf Hawaii, sonst erzeugt es keine Erkenntnisse. Insofern ist Wissenschaft international. Diese Internationalität und Aufgeschlossenheit ist natürlich eine Herausforderung in Zeiten des Nationalpopulismus, wie es der deutsche Klimaforscher John Schellnhuber in der „Zeit“ sehr gut auf den Punkt gebracht hat.

Ist eine Demonstration das richtige Mittel, um ein Bewusstsein für wissenschaftliche Werte zu stärken?

Ich bin nicht dafür, dass Wissenschaftler wie die Muppet-Senioren aus der Loge ständig dazwischenkeppeln; aber die Wissenschaft muss sich klar darüber sein, welche Bedeutung sie in einem gesellschaftlichen Diskurs hat. Und diesen auch – stärker als bisher – wahrnehmen. Der Marsch ist nicht ein willkürlich gewählter Endpunkt, sondern ein Punkt in einer größeren Kommunikation, die von Bedeutung ist.

Es geht also weiter?

Nicht als Marsch und nicht in dieser konzentrierten Form. Jede Institution und jeder Forscher sind gefragt, sich zu überlegen, wie sie ihre Wissenschaft unter die Leute bringen können. Wenn es die Aufgabe des Marsches gewesen ist, Motivation für die Kommunikation von Wissenschaft zu erzeugen, würde es mich freuen.

ZUR PERSON

Oliver Lehmann (52)

arbeitete zunächst als Journalist, u. a. bei der „Berliner Tageszeitung“, „Stern“, „News“ und BBC World Service und dem „Universum Magazin“. Derzeit ist er Head of Stakeholder Relations des Institute of Science and Technology Austria bei Klosterneu-burg sowie Vorsitzender des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten. Zudem organisiert er den Vienna March of Science als Teil eines weltweiten Aktionstags für die Wissenschaft.

In mehr als 500 Städten rund um den Globus gehen heute, Samstag, Forscher auf die Straße, um für Offenheit und faktenorientierte Wahrheit zu demonstrieren. In Wien treffen sich die Forscher um 13 Uhr im Sigmund-Freud-Park (zwischen Votivkirche und Universität Wien). [ Sabine Hauswirth]

Mehr:www.sciencemarchvienna.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.