Zünder des Lebens?

Mit Phosphor zünden auch die, die nach ihrer Funktion heißen. Früher war er in den Köpfchen, heute ist er in den Reibeflächen.
Mit Phosphor zünden auch die, die nach ihrer Funktion heißen. Früher war er in den Köpfchen, heute ist er in den Reibeflächen.(c) SCIENCE PHOTO LIBRARY / Science Photo Library / picturedesk.com
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Zentrale Biomoleküle sind auf Phosphor gebaut, er ließ zudem die Mehrzeller aufblühen. Aber Fürchterliches anrichten kann dieses Element auch.

Den Dingen teilt mit er sein Körperlicht, bestreicht man mit ihm das Angesicht / So wird es leuchtend und man geht umher / Wie Moses, umgeben vom Flammenmeer.“ In solchen Überschwang versetzte den höchst nüchternen Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz ein Material, das er vom Hamburger Alchemisten Henning Brand erhalten und das der 1669 gefunden hatte, als er auf der Suche nach dem Stein der Weisen „goldgelben Harn“ eindampfte. Was übrig blieb, taufte er nach dem griechischen Lichtträger und Gott des Morgensterns Phosphoros, Leibniz besang es im Gedicht „Phosphorus mirabilis“. Er kannte auch die Kehrseite: „Zu fest berührt von harter Hand / Voll Zorn gerät er leicht in Brand“, und löschen kann nichts: „Das feurige Kleid, von Medea beschert / Wird leichter am Brennen als Phosphor gestört.“

Hamburg, die Heimat des Mannes, der zufällig auch noch Brand hieß, bekam es bei einem Bombardement am 27. Juli 1943 zu spüren, mit einem Feuersturm, der alles in sich hineinriss, auch Menschen, die in den Luftzug gerieten: Phosphor kann eine fürchterliche Waffe werden. Umgekehrt gäbe es ohne ihn kein Leben und zu atmen auch nichts: Fast alle Biomoleküle, vom Rückgrat der DNA und RNA im Zellkern bis zum Stützmaterial der Zellmembran sind auf dieses Element gebaut. Das gibt es in frei verfügbarer Form in der Natur aber kaum, es ist fest eingebunden, meist in Apatit, zum Herausholen braucht es Enzyme.

Aber auch die sind auf Phosphor gebaut. Wie lässt sich das Paradox lösen, wie konnte, vor etwa 3,8 Milliarden Jahren, Leben entstehen? Eine Hypothese setzt als Zünder auf ein anderes Element, Schwefel. Auf den stieß nun auch Daniel Segré (Boston): Er hat alle bekannten biochemischen Reaktionen bilanziert und dann im Computer durchgespielt, welche von ihnen ohne Phosphor laufen bzw. durch phosphorfreie substituiert werden können. Er kam auf einen Kern von 315 Reaktionen mit 215 Metaboliten, viele auf Schwefelbasis, darunter ein Ersatz für den Träger des Energiehaushalts – Adenosintriphosphat (ATP) – und zehn der 20 vom Leben verwendeten Aminosäuren sowie zwei der vier Nukleinsäuren von DNA und RNA (Cell 2. 3.).

Hätte das gereicht? Oder gab es doch verfügbaren Phosphor auf der frühen Erde? Alan Schwartz (Nijmwegen) hat „mindestens zwei“ Quellen identifiziert, Vulkane und Meteoriten – da kommt das Element im Mineral Schreibersit vor, benannt nach einem österreichischen Gelehrten –, für ihn ist „das ,Phosphor-Problem‘“ nur noch eines in Anführungszeichen, also keines mehr (Phil. Trans. Roy. Soc. B 361, S. 1743).


Snowball earth. Wie auch immer, Leben, wie wir es kennen, lebt von Phosphor. Aber zunächst dümpelte es Milliarden Jahren einzellig vor sich hin, mehrzellig blühte es erst auf in der kambrischen Explosion vor 540 Millionen Jahren (vielleicht schon etwas früher mit den rätselhaften Ediacara). Die Lösung hieß bisher: Phosphor, Noah Planavsky (Yale) hat sie 2010 vorgeschlagen (Nature 467, S. 1088): Die Erde war mehrfach rundum vereist, zum „snowball earth“, zuletzt vor 715 bis 580 Millionen Jahren. Unter der Last der Gletscher wurde viel Gestein zerrieben, und als sie wichen, kamen seine Nährstoffe, Phosphor voran, ins Meer.

Das Leben reagierte mit einem neuen Stoffwechsel, dem der Fotosynthese, die brachte Sauerstoff, der brachte die Explosion. Aber vergangenen Dezember warf Planavsky alles herum: Der Phosphor – hier in der Form von Phosphat – war schon vor 800 Millionen Jahren im Meer, da sei die Fotosynthese angesprungen, die braucht CO2,und holte so viel aus der Luft, dass die Erde ein snowball wurde (Nature 541, S. 386). Wie der Phosphor ins Meer gelangt sein soll, ist mysteriös, aber sei's drum: Heute lebt alles von diesem Element, es gibt Konflikte darum – vor allem den von der Welt vergessenen um die Westsahara, wo die größten Lager liegen –, es gibt Sorgen um die Erschöpfung der Reserven. Aber es gibt auch, noch ein Paradox, Überschuss, der kommt von Feldern und aus Gedärmen, und er erstickt Leben, durch Überdüngung von Gewässern: Um viele Flussmündungen erstrecken sich Todeszonen, in denen es keinen Sauerstoff gibt, weil er von Algen verzehrt wurde, die von Phosphor (und Stickstoff) zum Blühen gebracht wurden.

Dass er das tut, liegt nicht nur daran, dass beim Düngen noch der Glaube gilt, viel helfe viel, er tut das auch deshalb, weil erstens viel von ihm gar nicht in die Pflanzen findet – nur zehn bis 25 Prozent – und zweitens am falschen Ort eingelagert wird: Jede Zelle hat Sensoren, die den Phosphorbedarf messen, an sie kann ein Signalmolekül binden. Das tut es, wenn genug Phosphor da ist, und dann stellt der Verbund den Phosphortransport still. Andreas Mayer (Lausanne) hat die Details erhellt und hofft, so eingreifen zu können, dass Pflanzen mit weniger Phosphor gut gedeihen (Science 352, S. 986).

Dann kommt noch das Problem der Verteilung: Bei Getreide gehen 60 bis 85 Prozent in die Körner, das ist doppelt soviel wie nötig, und es geht mit den Körnern in die Mägen der Menschen und ihrer Haustiere. Wer nicht wiederkäut, kann es aber nicht verwerten, es liegt als Phytat vor, das wird unverdaut ausgeschieden, das überdüngt. Aber Jian Feng Ma hat gerade bei Reis einen Signalweg entdeckt, mit dem man die Phosphorverteilung so umsteuern könnte, dass weniger in die Körner geht (Nature 541, S. 92).

Oder doch anders herum? Victor Hugo hat in „Die Elenden“ angeregt, den „Unrat der Städte“ auf die Felder zu führen: „Würde man ihn zur Fruchtbarmachung des Erdbodens verwenden, so würde man Mist in Gold verwandeln.“ Das war 1862, die Zeiten der Alchemie, in denen Brands eingedampfter Urin in Gold aufgewogen wurde, waren längst vorbei. Und mit der heutigen Chemie bzw. Verfahrenstechnik ist es nicht so leicht, aus Kot Geld zu machen: 2008 nahm die Firma Ash Dec eine Pilotanlage in Leoben in Betrieb, die Phosphor aus Klärschlamm holen sollte. Die Erwartungen waren hoch – „das europäische Umsatzpotenzial liegt bei einer Mrd. Euro“ –, aber das Unternehmen endete nicht mit einem Jubelgedicht, sondern einem profanen Eintrag im Firmenbuch: „Konkurs bekannt gemacht am 9. September 2010“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2017)

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