Klima wandelt sich schneller als erwartet

Eisbär
Eisbär(c) AP (Joseph Napaaqutq Sage)
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Die Entwicklung des globalen Klimas liegt am oberen Rand der bisherigen Prognosen. Das Eis in der Arktis schmilzt rascher ab als erwartet, der Meeresspiegel steigt stärker an.

Der Klimawandel schreitet schneller voran als bisher gedacht. Zu diesem Schluss kommen 26 renommierte Klimaforscher in einem Bericht, den sie am Dienstag weltweit praktisch gleichzeitig präsentiert haben (www.copenhagendiagnosis.com). Die Studie versteht sich als Zwischenbericht zu den UN-Klimaberichten (IPCC) – die jüngste Ausgabe kam Anfang 2007 heraus, die nächste folgt 2013.

„In den letzten drei Jahren hat sich der Wissensstand stark geändert“, sagte der Innsbrucker Forscher Georg Kaser, einer der Autoren. In vielen Bereichen war der IPCC-Report demnach zu optimistisch. So zeigen Messdaten, dass der Meeresspiegel rascher ansteigt als erwartet. Mit einer aktuellen Rate von 3,4 Millimeter pro Jahr liege man „am oberen Rand der IPCC-Szenarien“, so Kaser. Das Meerwasser erwärmt sich stärker und dehnt sich aus. Eine Rolle spielt auch das unerwartet starke Abschmelzen des Grönlandeises. „Die Schmelzzone hat zugenommen“, sagt der Experte. Viele Unsicherheiten gibt es noch bei der Dynamik dieser Eismassen.

2009 liegt im Trend

Bei der Eisbedeckung der arktischen Meere liegen die IPCC-Annahmen weit daneben: Abgeschmolzen sind um 40 Prozent mehr als vor einigen Jahren prognostiziert. 2008 und heuer waren erstmals seit Menschengedenken die Nordwest- und die Nordostpassage im Sommer eisfrei.

Die Erwärmung liegt im Bereich der Erwartungen: Im 25-Jahres-Schnitt macht sie plus 0,187 Grad je Jahrzehnt aus. Seit dem 19. Jahrhundert wurde die Erde um 0,8 Grad wärmer. Kaser betont, dass daran auch die „Pause“, die die globale Erwärmung in den letzten zehn Jahren einlegte, nichts ändere. Dieses Phänomen lasse sich aus natürlichen Effekten – derzeit tragen Meeresströmungen und Sonneneinstrahlung zu einer Abkühlung bei – und aus der stets vorhandenen Variabilität erklären. „Das ändert nichts am Trend“, so Kaser. Das Jahr 2009 liegt ziemlich genau auf der Trendkurve.

Wie stark der menschgemachte Treibhauseffekt ist, zeigt folgende Zahl: Ohne erhöhten CO2-Gehalt der Luft wäre die globale Durchschnittstemperatur im Jahr 2008 – dem kältesten im letzten Jahrzehnt – um ein Grad niedriger gewesen. Das hätte dem Niveau des 19. Jahrhunderts entsprochen.

Treibhausgase führen dazu, dass ein Teil der eingestrahlten Sonnenenergie die Erde nicht mehr verlassen kann. Dadurch verändert sich das energetische Gleichgewicht, was sich als durchschnittliche Erwärmung der Oberfläche beziffern lässt – und daneben viele andere Klimaphänomene wie Meeresströmungen oder die Verdunstung von Wasser beeinflusst.

Meere steigen um einen Meter

Die CO2-Emissionen steigen stärker als in den meisten IPCC-Szenarien erwartet. Kaser: „Die Entwicklung der letzten Jahre entspricht einem extremen Szenario, das wir uns in Vorträgen nicht einmal zu erwähnen getraut haben.“ Geht der Ausstoß ungebremst weiter, dann entspricht der Energiegehalt der Erde bis 2010 einer Erwärmung um sieben Grad, der Meeresspiegel steigt um einen Meter. „Das bedeutet nicht, dass es überall um sieben Grad wärmer wird“, betont Kaser. Viele Klimasysteme würden aber „außer Rand und Band“ geraten, die Auswirkungen seien je nach Region unterschiedlich. „Wir haben bereits ein energetisches Ungleichgewicht produziert, das um zwei Grad über dem 19. Jahrhundert liegt. Sofortiges Handeln ist ganz, ganz wichtig.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2009)

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