Die Pockenviren sind bald wieder da

Synthetische Biologie. Die Pferdepocken wurden nachgebaut, ohne großen Aufwand und für 100.000 Dollar.

„Tonix, eine Gesellschaft, die innovative Pharmaprodukte entwickelt, hat heute die erfolgreiche Synthese eines möglichen Pocken-impfstoffs angezeigt. Der Kandidat, TNX-801, ist eine lebende Form des Pferdepockenvirus, von der gezeigt wurde, dass sie in Mäusen schützende Impfstoffwirkung bringt.“ Das verlautbarte die US-Firma Tonix am 2. März, ein paar Börsianer werden es gelesen haben, die Sprengwirkung sahen sie nicht: Die Pferdepocken sind engst verwandt mit den Pocken, die die Menschen dahingerafft haben, bis Edward Jenner 1796 einen Impfstoff entwickelte, den ersten überhaupt.

Mit späteren gelang der Weltgesundheitsorganisation WHO 1980 die Ausrottung der Krankheit, es war bei Menschen die erste und blieb die einzige (bei Tieren konnte man die Rinderpest aus der Welt bringen). Seither gibt es Pockenviren nur noch in zwei Labors, einem in den USA, einem in Russland, und alle paar Jahre entbrennt die schon rituelle Debatte darüber, ob man das Teufelszeug endlich vernichten soll.

Keine besonderen Kenntnisse nötig

Nun hat sie sich erübrigt: Vor 50 Jahren starben in der Mongolei Pferde an ihren Pocken – seitdem ist die Krankheit nicht mehr ausgebrochen –, Proben der Viren wurden in den USA eingelagert, 2006 wurde das Genom sequenziert und publiziert. Nach diesem Rezept hat David Adams (Alberta) die Erreger nachgebaut, mit denen Tonix wirbt (Sciencenow 6. 7.): Genbaustücke gibt es im Versandhandel, eher wohlfeil, 100.000 Dollar reichten, und sonst braucht man auch nicht viel: „Er benötigte keine außerordentlichen Kenntnisse oder Fähigkeiten, keinen beträchtlichen Aufwand an Geld oder Zeit.“

So beschrieb es die WHO nach einer Sitzung 2016, in der Adams von seiner Arbeit berichtete. Nach außen blieb alles ruhig, gespenstisch ruhig: Als das erste Mal ein Virus nachgebaut wurde, der von Polio anno 2000, war die Aufregung so groß, dass der „Gen-Hexer“ Craig Venter lauthals „unverantwortlich“ urteilte. Dann eilte er ins Labor und baute selbst etwas nach, einen Phagen.

Nun geht es also mit den ungleich größeren und gefährlicheren Pocken, vorerst denen der Pferde, aber die der Menschen sind ebenso leicht nachzubauen, in jedem Hinterzimmer. Wozu? Ein Impfstoff für eine ausgerottete Krankheit, die man zur Entwicklung des Impfstoffs wieder in die Welt setzt? Adams konzediert, dass sein Produkt unter „dual use“ fällt: Für einen Impfstoff braucht man den Erreger, für eine Abwehr- die Angriffswaffe. Aber ein wissenschaftliches Mäntelchen gibt es schon auch: Es ist nicht klar, ob Jenner für seinen Impfstoff Rinder- oder Pferdepocken verwendete, das kann man nun testen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2017)

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