Ein rosa Punkt in der grauen Masse

Narziss an der Wasserquelle, wo er sich im Mythos in sein eigenes Spiegelbild verliebt. Festgehalten vom britischen Maler John William Waterhouse.
Narziss an der Wasserquelle, wo er sich im Mythos in sein eigenes Spiegelbild verliebt. Festgehalten vom britischen Maler John William Waterhouse.(c) Gemeinfrei
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Was passiert im Gehirn, wenn Narzissten Fotos von sich selbst betrachten? Das beobachteten Forscher mit Magnetresonanztomografie. Und orteten ein Defizit im Selbstwert.

Nicht erst, seitdem Donald J. Trump auf der politischen Bildfläche erschien, hatte das Thema Narzissmus neuen Auftrieb bekommen. Schon die Generation Facebook befeuerte die Debatte über Ursachen und Wirkung von Narzissmus. Kaum irgendwo sonst ist die Chance zur Selbstdarstellung so unmittelbar vorhanden wie in den Sozialen Medien. „Die Häufigkeit des Postens von Selfies korreliert mit der Stärke des Narzissmus als Persönlichkeitsmerkmal“, sagt Emanuel Jauk vom Institut für Psychologie der Universität Graz. „In den vergangenen Jahrzehnten verzeichnen wir einen Anstieg dieses Persönlichkeitsmerkmals“, erklärt er.

Ein Narzisst versteht sich als rosa Punkt in der grauen Masse. Das macht ihn auf den ersten Blick sogar attraktiv. Er wirkt aufgeschlossen, selbstbewusst, eloquent und unterhaltsam. Doch gleichzeitig ist er übermäßig von sich eingenommen, nimmt wenig Rücksicht auf andere und fügt sich nur schwer in soziale Strukturen ein. Lerntheoretiker gehen davon aus, dass Narzissten als Kinder von ihren Eltern in übertriebener Weise gelobt wurden. Diese übertriebene oder ungerechtfertigte Bestätigung sei verinnerlicht worden. Psychodynamische Theorien dagegen sehen die Ursache in früheren Kränkungen oder einer wenig empathischen Erziehung. „Narzisstisches Verhalten dient als Fassade, um die erlittene Verletzung zu verdecken“, so Jauk.

Hinter die Fassade blicken

Seine Teamkollegen Mathias Benedek, Karl Kotschunig, Gayannée Kedia und Leiter Aljoscha Neubauer und er wollten wissen, ob sich empirisch nachweisen lässt, was intuitiv logisch erscheint, nämlich, dass hinter dem offensiven und auftrumpfenden Verhalten von Narzissten eine verletzte Person steckt. Die Eigenschaften Autorität, Selbstdarstellung und Überlegenheit lassen zwar zunächst nicht auf besondere Sensibilität schließen, treten sie besonders ausgeprägt auf, gilt es hinter die Fassade zu blicken.

Deshalb testeten die Forscher mit Hilfe der Magnetresonanztomographie, welche Gehirnregionen aktiviert werden, wenn Narzissten Fotos von sich selbst betrachten. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift „Nature Scientific Reports“ veröffentlicht.

Die Wissenschaftler wählten mit Hilfe eines psychologischen Fragebogens 43 von 600 Testpersonen aus, und zwar die, die zweimal im Abstand von vier Wochen bei dem Persönlichkeitstest einerseits besonders viele und andererseits besonders wenige Merkmale für Narzissmus aufwiesen. Der Gruppe gehörten ebenso viele Männer wie Frauen an. „Haben die Probanden ein besonders erhöhtes positives Selbstbild, müssten beim Betrachten des eigenen Bildes jene Gehirnareale aktiviert werden, die für starkes Verlangen oder Genussreaktionen verantwortlich sind“, erklärt Jauk die Ausgangslage. Wenn Regionen aktiviert werden, die auf negativen Affekt oder emotionale Konflikte schließen lassen, lässt sich auf ein negatives Selbstbild schließen.

Bei Männern mit stark narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen wurden beim Betrachten des eigenen Bildes in den Tests Gehirnregionen aktiviert, die negative Gefühle oder widerstreitende emotionale Prozesse zeigen. Bei Männern mit schwach narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen war das nicht der Fall. Forscher leiten daraus ab, dass bei starken Narzissten ein verborgenes Selbstwertdefizit vorhanden ist. Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen, mit dem beruflichen oder sozialen Erfolg führen zu einem übermäßig dominanten Verhalten. „Der Versuch, sich so aufzuwerten, zeigt, dass kein gefestigtes Selbstwertgefühl vorhanden ist“, sagt Jauk.

Frauen sozial kompetenter?

Erstaunt hat die Forscher, dass dieses Ergebnis nur bei den männlichen Teilnehmern festgestellt werden konnte. Bei weiblichen wurde kein signifikanter Unterschied zwischen Frauen mit stark ausgeprägten und jenen mit sehr schwach ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen sichtbar. „Vermutlich liegt das daran, dass Frauen eine höhere soziale Kompetenz aufweisen und sich stärker mit ihren Gefühlen auseinandersetzen“, sagt Jauk. Künftige Untersuchungen sollen zeigen, ob sich diese Annahme bestätigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2017)

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