Wer die Zeit misst, erhöht die Unordnung der Welt

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Armbanduhren(c) imago/Gottfried Czepluch
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Was ist Zeit? Die trockenste Antwort darauf ist: das, was man mit einer Uhr misst. In diesem Sinn entwarf Marcus Huber, Physiker in Wien, ein Gedankenexperiment, das auch zeigt: Eine Uhr kann nicht beliebig genau gehen.

„Für uns gläubige Physiker“, schrieb Albert Einstein kurz vor seinem Tod an einen Freund, „hat die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer, wenn auch hartnäckigen, Illusion.“ Ein guter Grabspruch für Physiker, gewiss, aber ist es nicht ganz essenziell für die Zeit, dass sie in eine Richtung „fließt“?

Wenn man einen Film über Billardkugeln oder über Planeten, die um einen Stern kreisen, rückwärts laufen lässt, merkt man keinen Unterschied. Sehr wohl merkt man einen Unterschied bei einem Film, der eine auf den Boden fallende und zerbrechende Tasse oder das Leben eines Menschen zeigt. Das liegt daran, dass dabei die Entropie – salopp gesagt: die Unordnung – zunimmt, wie in allen Systemen, die nicht im thermodynamischen Gleichgewicht sind. Die Zeit fließt also in Richtung der wachsenden Entropie. Gibt es im thermodynamischen Gleichgewicht (in dem alle Vorgänge reversibel sind) überhaupt eine Zeit? „Das ist eine schwierige Frage“, sagt Marcus Huber, Quantenphysiker an der Akademie der Wissenschaften, „messen kann man sie jedenfalls dann nicht. Denn auch eine Uhr ist nur eine Wärmekraftmaschine (die Wärme in Arbeit verwandelt). Im thermodynamischen Gleichgewicht kann keine Uhr existieren.“

Begrenzt also die Thermodynamik grundsätzlich unsere Möglichkeiten der Zeitmessung? Huber hat sich zu dieser Frage ein Gedankenexperiment ausgedacht, das in der höchst angesehenen Zeitschrift Physical Review X (7, 031022) erschienen ist. Darin beschreibt er eine „autonome Quantenuhr“, die durch den Wärmefluss zwischen zwei unterschiedlich warmen Behältern angetrieben wird.

Jetzt wird's thermodynamisch

Die Beschreibung ist ziemlich allgemein und abstrakt, im Wesentlichen funktioniert es so: In beiden Wärmebehältern steckt ein Quantenteilchen, das zwei Zustände einnehmen kann, einen mit mehr und einen mit weniger Energie. Dabei ist die Differenz zwischen den Energieniveaus beim ersten Teilchen größer als beim zweiten: Es wird also nicht die ganze Energie vom wärmeren auf den kälteren Behälter übertragen; der Rest wird auf ein drittes Quantensystem übertragen, das mehrere Energieniveaus hat. Dieses wird also angeregt, und wie oft, wenn ein System angeregt wird, gibt es die Energie irgendwann wieder in Form eines Photons (Lichtteilchens) ab. Das kann man dann mit einem Detektor registrieren, der tickt, wenn ein Photon kommt.

Aber im Grunde wird gezählt

Die Zeitmessung besteht dann daraus, diese Ticks zu zählen. Zeit wird also auf Zählen zurückgeführt. „Mehr als Zählen können wir am Ende nicht“, sagt Huber, „gemessene Zeit ist immer diskret.“ Unter einer „diskreten“ Größe verstehen Physiker eine Größe, die sich sprunghaft ändert – wie die natürlichen Zahlen oder die Zeitanzeige auf einem Digitalwecker – und nicht kontinuierlich – wie die reellen Zahlen oder die Zeiger einer Uhr mit Ziffernblatt. Kann man sagen, dass die Zeit überhaupt eine diskrete Variable ist? „Das ist eine philosophische Frage“, sagt Huber: „In den Gleichungen der Quantentheorie ist sie freilich eine kontinuierliche Variable.“

Die Auswertung des Gedankenexperiments ergibt jedenfalls: Die Quantenuhr bringt notwendigerweise eine Zunahme der Entropie mit sich. Und man kann sie nicht beliebig genau machen. „Für unendliche Genauigkeit müsste ich unendlich viel Energie pro Tick ausgeben“, sagt Huber. „Ich könnte mir umgekehrt auch eine Uhr denken, die mit 100 Prozent Effizienz arbeitet, also keine Energie verbraucht. Aber dann tickt sie nie.“

So abstrakt das Gedankenexperiment ist, es ähnelt einer Versuchsanordnung, die ganz praktisch im Labor verwendet wird: zum Abkühlen von Atomen. So ist durchaus vorstellbar, dass es einmal realisiert wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2017)

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