Sie kocht doch nur mit Wasser

Miriam Unterlass nutzt einen Kniff aus der geologischen Natur, um – in heißem Wasser – Materialien mit Hochleistungseigenschaften herzustellen.
Miriam Unterlass nutzt einen Kniff aus der geologischen Natur, um – in heißem Wasser – Materialien mit Hochleistungseigenschaften herzustellen.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Chemikerin und Materialwissenschaftlerin Miriam Unterlass stellt in Druckreaktoren kristalline Kunststoffe her, die über 600 Grad Celsius und kosmische Strahlung aushalten.

Hydrothermale Prozesse. „Das heißt nichts anderes, als dass die Prozesse in heißem Wasser ablaufen“, erklärt Miriam Unterlass. Sie hat für die Erforschung dieser Prozesse heuer den Start-Preis des Wissenschaftsministeriums erhalten, der mit bis zu 1,5 Millionen Euro über sechs Jahre dotiert ist. „Hydrothermale Prozesse sind eine Sorte der Gesteins- und Mineralbildung“, sagt Unterlass, die an der TU Wien die Forschungsgruppe Advanced Polymer Materials leitet.

In der Erdkruste gibt es heißes Wasser, das bei hohem Druck auf engem Raum eingeschlossen ist. „Sehen kann man es, wenn es als Geysir oder heiße Quelle austritt“, sagt sie. Unter der Erde hat dieses Wasser mehrere Hundert Grad Celsius. „Das ist ähnlich wie ein Kelomat-Druckkochtopf.“

Unter diesen Bedingungen – heiß, flüssig, hoher Druck – entstehen Bergkristalle und andere Kristalle. „Und wir verwenden diesen Kniff der Natur, um Hochleistungsmaterialien aus Kunststoff herzustellen, die eine hohe Kristallinität, also Ordnung auf molekularer Ebene, haben“, sagt die aus Deutschland stammende Forscherin. Geomimetik nennt sie das Gebiet, das sich von der geologischen Natur inspirieren lässt.

Neues Material ist leicht und robust

„Doch wir verwenden organische Ausgangsstoffe wie Kohlenstoff, Stickstoff oder Sauerstoff anstatt Metallelemente. Diese sind sehr leicht und sehr häufig verfügbar.“ So werden die neu entwickelten Materialien leichter und verbrauchen keine der seltenen Grundstoffe wie Gold oder Silber.

„Bei uns im Labor stehen Druckreaktoren in verschiedenen Größen: Darin stellen wir aus einfachen Startmolekülen hochgeordnete kristalline Strukturen her.“ Für jedes System muss erforscht werden, welche Bedingungen die richtigen sind. Manche Materialien entstehen bei 220Grad über drei Tage, andere bei noch höheren Temperaturen in kürzerer Zeit.

Wenn die optimalen Bedingungen gefunden sind, entstehen in den Druckreaktoren Kunststoffe, die gegenüber Chemikalien resistent sind, die sogar kosmische Strahlung und Temperaturen über 600 Grad Celsius aushalten. „Materialien für Handys oder für die Raumfahrt dürfen sich nicht nach 20 Tagen in der Sonne zersetzen“, so Unterlass.

Ihre Arbeit verbindet Grundlagenforschung mit der Anwendung: „Ich will meine Forschungsergebnisse verwirklicht sehen.“ Die organischen Gerüststrukturen, die im Druckreaktor gebildet werden, eignen sich etwa als molekulares Sieb, in dem Ionen einer bestimmten Größe in eine Richtung durchschlüpfen können. „Das wäre etwa für Lithium-Ionen-Akkus sinnvoll, die jeder in seinem Handy und Computer hat.“ Oder man kann mit solchen kristallinen Strukturen Gase nach ihrer Molekülgröße trennen und als Abgasfilter einsetzen.

„Es klingt ja fast esoterisch, aber wir schaffen das alles nur mit heißem Wasser. Bisher braucht man dazu giftige, teure und umweltschädliche Lösungsmittel, bei uns braucht es nur Wasser“, schwärmt Unterlass. Sie gründet nun gemeinsam mit einem Partner ein Spin-off der TU, um die Produktion der Hochleistungsmaterialien voranzutreiben. Förderung erhielt sie etwa von der Austria Wirtschaftservice (AWS), dem Wissenschaftsfonds (FWF) und der Christian-Doppler-Forschungsgesellschaft.

Seit fünf Jahren ist Unterlass in Wien, davor forschte die 30-Jährige in Paris und Berlin. „Obwohl ich das Glück hatte, in lauter großartigen Städten nur an tollen Unis zu sein, habe ich anfangs in Wien ein bisschen verglichen, wo ich mich wohler fühle: Ich glaube, ich mag Wien lieber als Paris“, überlegt Unterlass.

In Wien findet jeder diese Stadt toll

„Die Stadt ist wunderschön, mit so viel Kultur und einer tollen Wissenschaftslandschaft. Mir kommt vor, dass es unter Wienern einen Konsens gibt, dass man diese Stadt toll findet. Diese Art von Freude und Dankbarkeit, hier zu sein, gefällt mir.“

Zeit, die Stadt so richtig zu genießen, hat die Forscherin aber gar nicht so viel. „Ich gehe jeden Tag circa 40 Minuten zu Fuß zur Arbeit und am Abend wieder zurück, den Ring entlang. So werde ich täglich daran erinnert, wie schön es hier ist.“

ZUR PERSON

Miriam Unterlass wurde 1986 in Erlangen, Deutschland, geboren. Sie studierte in Würzburg (Deutschland), Lyon (Frankreich) und Southampton (England) Chemie, Materialwissenschaften und Chemie-Ingenieurwesen. Die Kombination hilft ihr

bei den hydrothermalen Synthesen,der Arbeit an den Reaktoren und beim Verstehen der Materialien. Nach Forschungsstationen in Potsdam bei Berlin und in Paris kam sie 2012 an die TU Wien.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2017)

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