Biotechnologie

Rasch wissen, ob alles gut ist

Patienten leiden oft lange an wunden Stellen. Beim Verbandswechsel kann man auf Infektionen testen.
Patienten leiden oft lange an wunden Stellen. Beim Verbandswechsel kann man auf Infektionen testen. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Grazer Forscherinnen entwickeln Schnelltests, die Infektionen von chronischen Wunden im Frühstadium entdecken. Das verringert Antibiotikabehandlungen.

Egal, wie sehr sich der Pflegende auch bemüht: Fast jeder bettlägrige Patient, sei es im Pflegeheim, Spital oder zu Hause, ist irgendwann „wund gelegen“. Das ist nur eine Form von chronischen Wunden, die aber in unserer immer älter werdenden Gesellschaft am Zunehmen ist. Auch offene Beine, wie man sie im Volksmund nennt, also schlecht verheilende Stellen an den Gliedmaßen, oder das Krankheitsbild des diabetischen Fußes gehören zu der großen Gruppe von chronischen Wunden, mit denen sich Patienten oft jahrelang plagen.

„Unser Team beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit diesem Thema, weil wir in einem großen EU-Projekt an der TU Graz Forschungen über chronische Wunden gestartet haben“, sagt Eva Sigl. Die Mikrobiologin gründete – unterstützt von der Austria Wirtschaftsservice AWS – gemeinsam mit der Chemikerin Andrea Heinzle 2014 das Start-up und Spin-off der TU Graz „Qualizyme“, um die Behandlung von chronischen Wunden zu verbessern. Bei der Verleihung des Fast Forward Awards der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG Anfang September gewann das Team in der Kategorie „Kleinstunternehmen“: Qualizyme hat derzeit sechs Mitarbeiter.

Über 200 Bakterienarten auf der Haut

„Bereits während des EU-Projekts konnten wir das erste Patent einreichen, und jetzt stehen wir kurz vor dem Markteintritt mit dem Schnelltest für Infektionen bei chronischen Wunden“, sagt Sigl. Die Markteinführung geben die Forscherinnen aber in die Hände von Industriepartnern: Sigl und Heinzle konzentrieren sich weiter auf ihre Produktionslinie im Reinraum und die Herstellung der besonderen Enzymsubstrate, die den Schnelltest so effizient machen. Das Problem ist für Patienten und Pfleger nämlich Folgendes: Wenn die Haut eine nicht heilende Stelle hat, kommt es immer wieder zu bakteriellen Infektionen. Immerhin leben auf der Haut etwa 200 Bakterienarten, die im gesunden Zustand keine Gefahr darstellen.

„Es gibt manche Problemkeime, die öfters Infektionen auslösen. Aber auch sie können an Wunden von Patienten vorkommen, ohne dass etwas passiert: Es hängt immer vom Zustand des Patienten und seines Immunsystems ab“, sagt Sigl. Bekämpft man die Infektion nicht gleich zu Beginn, verschlechtert sich die Wunde, sie kann eitern und stinken.

„Viele bemerken die Infektion erst, wenn es offensichtlich ist“, erklärt Sigl. Dann hilft dem Patienten nur mehr eine Antibiotikabehandlung, oral eingenommen und daher den ganzen Körper belastend. „Unser System soll Antibiotikagaben verringern, da man frühe Infektionen erkennen und das Problem lokal behandeln kann“, so Sigl. Im Frühstadium reicht es oft, die Wunde besser zu desinfizieren oder das Areal chirurgisch zu reinigen. Solche lokalen Therapien sind besonders im Hinblick auf steigende Antibiotikaresistenzen sinnvoll.

Dem Grazer Team fiel bei der Studie der biochemischen Grundlagen von chronischen Wunden auf, dass der Körper im Frühstadium von Infektionen ganz spezielle Abwehrstoffe bildet. „Diese Enzyme produziert das menschliche Immunsystem, egal von welchen Bakterien die Infektion ausgelöst wird. Und das, bevor man mit freiem Auge sehen kann, dass die Wunde sich verschlechtert“, sagt Sigl. Dann folgte lange Forschungsarbeit, seit 2011 auch gemeinsam mit dem Austrian Centre of Biotechnology, Acib, einem von Wissenschafts- und Technologieministerium geförderten Kompetenzzentrum: Das Team stellte bald mit Partnerfirmen neue Enzymsubstrate labortechnisch her und entwickelt nun unterschiedliche Testsysteme, etwa Teststreifen.

Alltag für Pflegende erleichtern

„Das funktioniert ähnlich wie Harnstreifen oder Schwangerschaftstests: Finden sich die Enzyme im Abstrich, verfärbt sich das Kontrollfeld des Teststreifens“, erklärt Sigl. Dieser Schnelltest soll also ab dem kommenden Jahr den Alltag in Pflegeheimen, Spitälern oder in häuslicher Pflege erleichtern.

Beim regelmäßigen Verbandswechsel der chronisch wunden Stellen kann man den Teststreifen anwenden und erhält eine Viertelstunde später die Information, ob sich eine Infektion anbahnt. Mikrobiologische Kulturen im Labor würden hingegen vier Tage dauern.

„Unser Glück war, dass wir von Anfang an mit guten Ärzten, Spitälern und Pflegeheimen zusammenarbeiten konnten“, sagt Sigl. Die Mediziner und Pfleger waren durchwegs begeistert von der Idee, einen Schnelltest zu bekommen: „Denn dass man erst behandeln kann, wenn die Infektion schon weit fortgeschritten ist, das ist für alle Beteiligten nicht zufriedenstellend.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.