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Das Auge des Gesetzes nicht zu angestrengt offen halten!

AFP (EDUARDO MUNOZ ALVAREZ)
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Ein „natürliches Experiment“ in New York zeigt, dass null Toleranz seitens der Polizei dem inneren Frieden nicht dienlich ist, im Gegenteil.

Am 17. Juli 2014 wurde in New York Eric Garner, ein schwarzafrikanischer Passant, der gerade einen Streit geschlichtet hatte und nun selbst verdächtigt worden war, illegalen Straßenhandel mit einzelnen Zigaretten zu betreiben, von zwei Polizisten zu Tode gebracht. Im Dezember ließ die Staatsanwaltschaft wissen, es gebe gegen die Polizisten kein Verfahren, das stürzte die Stadt ins Chaos, es gab große Demonstrationen und Blockaden ganzer Straßenzüge.

Am 20. Dezember wurden in New York zwei Polizisten, Wejian Liu und Rafael Ramos, von einem dunkelhäutigen Mann, der Rache für Polizeiopfer angekündigt hatte, erschossen, als sie auf Streife im Auto saßen. Zu Neujahr unterbrach die Polizeiführung die Eskalation, zum Schutz ihrer Leute, sie ordnete eine Art Streik an (echte Streiks sind verboten): Die Polizei griff nur noch ein, wo sie gerufen wurde, sie fuhr zwar Streife, stieg aber nicht aus, wenn sie irgendwo irgendeine verdächtige Kleinigkeit beobachtete, kurz: Die ersten zweieinhalb Wochen 2015 beschränkte sie sich auf das Nötigste und Traditionellste.

Dieses „natürliche Experiment“ haben Christopher Sullivan Louisiana (State University) und Zachary O'Keeffe (University of Michigan) nun genutzt, um den langen Streit darüber zu klären, wie der Friede im Inneren einer Gesellschaft am besten geschützt wird: Vor 25 Jahren habe unter Kriminologen Konsens darüber geherrscht, dass die Polizei zum Reagieren da ist und erst aktiv wird, wenn ein Verbrechen begangen ist, daran erinnert in einem Begleitkommentar David Weisburd (George Mason University).

Dann kam eine rigide Wendung hin zum „proactive policing“, einem vorbeugenden Handeln, das Verbrechen schon im Keim ersticken will. Das stützte sich auf die „broken windows theory“, die in jeder zerbrochenen Fensterscheibe, die nicht umgehend erneuert wird, das Unheil eskalierender Gesetzlosigkeit lauern sah. 1992 wurde die Strategie in New York unter dem Titel „Null Toleranz“ eingeführt, die Polizei wurde bei geringsten Vergehen aktiv, Personenkontrollen wurden häufig etc. Zu Jahresbeginn 2015 entfiel all das für zweieinhalb Wochen. Daraufhin änderte sich bei den großen Gewaltverbrechen – Mord, Vergewaltigung – gar nichts, das lag an deren auch in New York geringer Zahl. Aber bei den häufigeren Eigentumsdelikten – Einbruch, Diebstahl, auch der von Autos – zeigte sich ein deutlicher Trend: Sie gingen um drei bis sechs Prozent zurück (Nature Human Behaviour, 25. 9.).

Wie das? Die Forscher erwägen zwei Möglichkeiten: Es kann sein, dass Mitglieder von Gesellschaften besser (auf sich und andere) aufpassen, wenn nicht unentwegt Polizei da ist. Es kann auch sein, dass ein überwaches Auge des Gesetzes dieses entwertet, wenn es in den Verdacht gerät, sich selbst nicht daran zu halten.

E-Mails: juergen.langenbach@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2017)

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