Physik-Nobelpreis für die Musik der Schwerkraft

Vor einer Darstellung der Raumzeit: Rainer Weiss erhält die Hälfte des Nobelpreises (insgesamt 940.000 Euro). Barish und Thorne teilen sich die andere.
Vor einer Darstellung der Raumzeit: Rainer Weiss erhält die Hälfte des Nobelpreises (insgesamt 940.000 Euro). Barish und Thorne teilen sich die andere.(c) REUTERS (Noah Berger)
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Drei US-Amerikaner – einer aus einer von den Nazis vertriebenen deutschen Familie – teilen sich den Nobelpreis 2017. Sie haben die gigantischen Apparaturen ersonnen, mit denen man Gravitationswellen nachweisen kann.

Kaum je hat sich die Entscheidung für den Nobelpreis aus Physik so aufgedrängt wie heuer: Der Nachweis der Gravitationswellen, der erstmals am 11. Februar 2016 verkündet wurde – was zu spät für den Nobelpreis 2016 war –, hat vielleicht nicht unser Weltbild verändert. Wohl aber unsere Möglichkeiten, die Welt zu sehen. Sehen in einem weiteren Sinn natürlich, nicht direkt mit den Augen. Das ist nichts Neues. Wir können die Wasserwellen direkt sehen, in denen sich die Oberfläche eines Sees kräuselt; nicht aber die Schallwellen in der Luft. Und eben auch nicht die Gravitationswellen, in denen sich die Raumzeit selbst kräuselt.

Dass es solche Wellen überhaupt gibt, hat Albert Einstein 101 Jahre vor ihrer Entdeckung vorausgesagt, als Folgerung aus seiner Allgemeinen Relativitätstheorie, laut der jede Masse die Raumzeit verformt – wie eine elektrische Ladung das elektromagnetische Feld. Und wie beschleunigte Ladungen eine elektromagnetische Welle auslösen, so lösen beschleunigte Massen eine Gravitationswelle aus: eine Kräuselung der Raumzeit. Die aber sehr gering ist, denn die Raumzeit ist, wie die Physiker sagen, sehr steif.

Gemessen: Licht zwischen Spiegeln

Um sie dennoch zu messen, gründeten Kip Thorne und Rainer Weiss (und Ronald Drever, der am 7. März 2017 gestorben ist) das Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory, kurz Ligo: ein gigantisches Projekt in doppelter Ausführung: einmal in der Steppe des Bundesstaats Washington, einmal in den Sümpfen von Louisiana.
Eine Ligo-Apparatur besteht im Prinzip aus einer Lichtquelle und zwei – je vier Kilometer von der Quelle entfernten, frei hängenden – Spiegeln, zu denen die Lichtstrahlen geschickt werden, durch Vakuum natürlich. Alles ist so eingestellt, dass die Strahlen, wenn sie wieder zurückkehren, einander durch Interferenz auslöschen. Außer wenn sich der Abstand der Spiegel zur Quelle ändert: Dann entsteht eine Phasenverschiebung, und die kann man messen.

Das schreibt sich so leicht, doch die Änderung der Abstände, die von einer Gravitationswelle bewirkt wird, ist sagenhaft klein, viel kleiner als ein Proton. Und man muss penibel jede Störungsquelle ausschalten, von vorbeifahrenden Lastautos bis zu fallenden Blättern. Barry Barish, der dritte Physiker im heurigen Nobelpreis-Bund, hat als langjähriger Direktor das Ligo auf dem Weg der Perfektionierung geleitet. Er war so mühselig wie spannend. Umso begeisterter waren die vielen Ligo-Physiker, als am 14. September 2015 die erste Sichtung gelang. Es war ihnen, heißt es nun poetisch in der Presseaussendung aus Stockholm, „endlich möglich, die Musik ihrer Träume zu hören“.

Anhören: Clash der Schwarzen Löcher

Den Vergleich mit Musik hat schon vor vielen Jahren Kip Thorne geprägt, ein Physiker, der sich auch für die populäre Darstellung seines Fachs begeistern kann (und der gemeinsam mit Stephen Hawking 2004 eine berühmte Wette über die Strahlung von Schwarzen Löchern gewonnen hat, Preis: ein „Penthouse“-Abo). Im Buch „Black Holes & Time Warps“ (1993) schrieb er über die Gravitationswellen: „Diese Kräuselungen der Raumzeit lassen sich mit den Schallwellen einer Symphonie vergleichen. So wie die Symphonie in den Modulationen der Schallwellen verschlüsselt ist, enthalten die Modulationen der Gravitationswellen die Geschichte der verschmelzenden Schwarzen Löcher.“ Diese münde in einem „wilden Crescendo“, schilderte Thorpe. Tatsächlich übersetzen die Ligo-Physiker ihre Daten heute gern in Schall. Wie das klingt, kann man sich unter „Sound of Two Black Holes Colliding“ auf YouTube anhören.

Bald auch Neutronensterne?

Solche kollidierenden Raumzeit-Monster haben die vier bisher registrierten und bestätigten Fälle von Kräuselungen („ripples“ sagt man weniger bedächtig auf Englisch) ausgelöst. Die massivsten vorstellbaren kosmischen Ereignisse also. Die Ligo-Physiker wollen aus ihren Daten sogar Genaueres über die Schwarzen Löcher lesen: Sie seien eher nicht paarweise entstanden, (aus Paaren sehr schwerer Sterne), sondern einzeln.

Möglich wäre es auch, Zusammenstöße von etwas weniger monströsen Objekten, nämlich von Neutronensternen, zu registrieren, sagen die Physiker; manche munkeln, dies sei schon passiert. Das hätte den Reiz, dass bei solchen Kollisionen nicht nur Gravitationswellen entstehen, sondern auch elektromagnetische Wellen. Weniger gravitätisch gesagt: Es blitzt im Gammastrahlenbereich, dann glüht es nach, im Röntgenbereich oder gar sichtbar.

Diese konventionellen astronomischen Sichtungen könnte man mit den via Ligo erhorchten Signalen kombinieren. Umso besser, wenn dazu Messungen des europäischen Gravitationswellendetektors Virgo – in Santo Stefano a Macerata, Italien – kommen. Noch viel feinere Messungen erlauben soll ab 2034 die Laser Interferometer Space Antenna (kurz: Lisa) der europäischen Weltraumorganisation ESA: ein Gravitationswellendetektor im All, bestehend aus drei Satelliten in Abständen von 2,5 Millionen Kilometern. Damit könnte man dann etwa auch Supernovae registrieren. Heute ist das, um beim Bild zu bleiben, Zukunftsmusik.

Neue Nobelpreisträger

Rainer Weiss, geboren 1932 in Berlin in eine jüdisch-christliche Familie, die vor dem NS-Terror fliehen musste. Er studierte am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo er heute Professor emeritus ist. Er forschte auch über Atomuhren.

Barry Barish, geboren 1936 in Omaha, Nebraska, promovierte an der University of California, Berkeley, Heute ist er Emeritus am Caltech.
Kip Thorne, geboren 1940 in Logan, Utah, promovierte in Princeton, war bis 2009 am Caltech. Er arbeitete u. a. über die Theorie von Schwarzen Löchern und Wurmlöchern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2017)

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