Biodiversität

Gesucht: Der Barcode des Lebens

 Libellen – im Bild ein Exemplar der vom Aussterben bedrohten Großen Moosjungfer (Leucorrhinia pectoralis) – stellen hohe Ansprüche an ihren Lebensraum. Sie sind daher auch gute Bioindikatoren für den Zustand von Gewässern und Uferbereichen.
Libellen – im Bild ein Exemplar der vom Aussterben bedrohten Großen Moosjungfer (Leucorrhinia pectoralis) – stellen hohe Ansprüche an ihren Lebensraum. Sie sind daher auch gute Bioindikatoren für den Zustand von Gewässern und Uferbereichen.(c) NHM Wien
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In Österreich wird derzeit eine DNA-Datenbank aufgebaut, in der alle 70.000 hierzulande lebenden Tier-, Pflanzen- und Pilzarten erfasst werden sollen. Diese Daten sind in vielen Bereichen äußerst hilfreich.

Libellen sind ungemein faszinierende Wesen. Man kann sich an den Flugkünsten dieser großen Insekten mit ihrem archaisch aussehenden Köpfchen und den kunterbunten Körpergliedern kaum sattsehen. Wenn Iris Fischer und Marcia Sittenthaler mit Feldstecher und Kescher unterwegs sind, um Libellen zu beobachten, dann erfreuen sie sich natürlich auch an deren Schönheit. Doch im Vordergrund ihrer Streifzüge durch ganz Wien, vom Wienerwald über die Donauinsel bis zur Lobau, steht etwas anderes: Die beiden am Naturhistorischen Museum (NHM) Wien beschäftigten Biologinnen wollen den aktuellen Bestand der Wiener Libellenfauna erfassen und überdies eine Referenzdatenbank von DNA-Barcodes dieser Tiere aufbauen.

Eingebettet ist das Libellenprojekt in das große Forschungsvorhaben ABOL – Austrian Barcode of Life. Dabei wird versucht, von allen rund 70.000 in Österreich lebenden Arten von Tieren, Pflanzen und Pilzen einen DNA-Barcode zu bestimmen und diesen mit wohlbestimmten Referenz-Exemplaren in naturkundlichen Sammlungen zu verknüpfen.

Unterschiede in einem Gen

Der Barcode ist die Sequenz des Gens MT-CO1, in dem der Bauplan für einen Teil des Proteins Cytochrom-C-Oxidase festgelegt ist – dieses Enzym ist für den Energiestoffwechsel wichtig. Die genaue Abfolge der 650 Basen in dem Gen unterscheidet sich zwischen verschiedenen Arten aber relativ stark, erläutert Elisabeth Haring, Direktorin der Zentralen Forschungslaboratorien am NHM Wien und Leiterin des ABOL-Netzwerkes.

Daher kann aus der Gen-Sequenz mit hoher Zuverlässigkeit auf die jeweilige Tier-, Pflanzen- oder Pilzart geschlossen werden. Die Daten werden auch in die internationale Barcode-Datenbank BOLD eingespeist und sind somit weltweit für die Wissenschaft und die Naturschutzarbeit zugänglich.

Neue Arten entdeckt

Das systematische Sammeln der DNA-Barcodes ermöglicht eine eindeutige Bestimmung der Arten und revolutioniert damit die Biodiversitätsforschung. So hat sich bereits in mehreren Fällen herausgestellt, dass es mehr Arten gibt als bisher gedacht. In der oberen Mur beispielsweise wurde kürzlich eine neue Fischart entdeckt: der Smaragdgreßling. Dieser sieht dem bekannten Steingreßling zum Verwechseln ähnlich, die DNA-Analyse zeigte aber, dass es sich um ein eigene Art handelt. Ähnliches gelang mit einer neuen Haarschneckenart.

Per DNA-Barcoding lassen sich auch die 50 verschiedenen Gelsenarten zuverlässig unterscheiden – das ist medizinisch bedeutsam, da neu zugewanderte Arten gefährliche Krankheiten übertragen können. Über den Mageninhalt kann weiters untersucht werden, was Tiere gefressen haben – das weiß man überraschenderweise bei den allermeisten Arten nicht.

Der Nutzen der DNA-Barcodes geht über die Biologie im engeren Sinne hinaus: Mit ihnen lässt sich beispielsweise eruieren, von welcher (möglicherweise geschützten) Störart ein im Restaurant angebotener Kaviar stammt.

Eine neue Forschungsrichtung befasst sich mit dem sogenannten Environmental Barcoding. Dabei zieht man aus Gewässern oder aus dem Boden Proben und überprüft, ob darin die DNA bestimmter Arten nachweisbar ist – denn jedes Lebewesen hinterlässt über Kot, Hautzellen oder Schleim ständig DNA in seiner Umwelt. So lassen sich auch Arten nachweisen, die man auf herkömmlichem Wege kaum beobachten kann – etwa Schlammpeitzker, eine Fischart, die selbst monatelange Trockenphasen eingegraben im Schlamm überstehen kann. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt: So ist es etwa schon gelungen, aus dem Blut, das Gelsen oder Blutegel gesaugt haben, die Arten zu bestimmen, an denen die Tiere „genascht“ haben.

Nicht-invasiver Nachweis

Mit Umwelt-Barcoding beschäftigen sich auch die beiden jungen Libellenforscherinnen: In einem Pilotprojekt testen sie derzeit eine Methode, um eine Libellenart durch Spuren im Wasser und insbesondere anhand der Larvenhäute (die sie im Zuge des Wachstums abstreifen) nachweisen zu können. Eine derartige nicht-invasive Methode wäre ideal zum Monitoring der beiden EU-Natura-2000-geschützten Arten Große Quelljungfer und Große Moosjungfer. Wien ist übrigens aufgrund der vielfältigen Lebensraumtypen ein wahrer Hotspot für Libellen: Bisher waren 61 Arten bekannt – und seit die beiden Biologinnen nun genauer hinschauen, ist die Liste bereits um eine weitere Art, die Östliche Moosjungfer, gewachsen.

Lexikon

ABOL – Austrian Barcode of Life ist eine Biodiversitätsinitiative mit dem
Ziel, DNA-Barcodes aller 70.000 österreichischen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten zu erfassen und für die Wissenschaft und die Naturschutzarbeit zur Verfügung zu stellen. Gestartet im Jahr 2014 hat das Wissenschaftsministerium nun eine weitere Finanzierungstranche für die Koordination freigegeben (620.000 Euro für die nächsten drei Jahre). An ABOL sind rund 120 Wissenschaftler von 40 Forschungsinstitutionen beteiligt, koordiniert wird das Projekt durch das Naturhistorische Museum (NHM) Wien.

Mehr: www.abol.ac.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2017)

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