Zeilinger: "Gott darf nicht beweisbar sein"

(c) Michaela Bruckberger
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Der Quantenphysiker Anton Zeilinger hält eine humanistische Ausbildung für unentbehrlich. Im Interview erklärt er, wieso er sein Segelboot ausgerechnet auf die Zahl 42 getauft hat.

Sie sind seit 1990 Professor für Experimentalphysik. Welche Lehren für den Alltag kann man aus der Quantenmechanik ziehen?

Anton Zeilinger: Ich habe mit der Quantenphysik gelernt, wie wichtig es ist, die richtigen Fragen zu stellen! Je nach Frage steuert unsere Wirklichkeit in eine bestimmte Richtung. Wenn ich etwa ein Elektron frage: „Bist du ein Teilchen?“, dann wird es antworten: „Ja, ich bin ein Teilchen!“ Wenn ich es frage: „Bist du eine Welle?“, dann wird es sagen: „Ja, ich bin eine Welle!“ Wenn es einmal gesagt hat, es ist eine Welle, dann kann es nicht auch Teilchen sein– obwohl das vor der Frage möglich gewesen wäre. Ich entscheide also durch meine Frage, welche Möglichkeit Wirklichkeit wird. Die Quantenphysik hat unserer Vorstellung von einer Wirklichkeit, die unabhängig von uns existiert, einen starken Stoß versetzt – und ich weiß nicht, wie weit das geht.


Sie haben seit ein paar Jahren einen Philosophen in Ihrem Team?

Ja, derzeit haben wir eine Philosophin aus Slowenien. Die Philosophen haben sehr viel dazu beigetragen, Grundlegendes zu klären. Zum Beispiel die Frage: Was ist der Messprozess? Ich teile ja nicht diesen Hochmut gegenüber den Geisteswissenschaften, der derzeit Mode ist. Die Geisteswissenschaften gehören zur Software der Gesellschaft. Als mich die damalige Ministerin Gehrer gefragt hat, was ich am Schulsystem verändert sehen möchte, habe ich ihr geantwortet, sie solle sicherstellen, dass es in jeder Landeshauptstadt ein humanistisches Gymnasium gebe. Eines mit sechs Jahren Latein und vier Jahren Griechisch und zwar ohne Möglichkeit, diese Sprachen abzuwählen. Durch eine humanistische Ausbildung lernt man das Denken in sehr fundamentalen Kategorien. Und das Lesen alter Texte führt einem vor Augen, dass sich an den grundlegenden menschlichen Problemen in den vergangenen 3000 Jahren nichts geändert hat. Da sind wir auf der gleichen Stufe wie damals. Wenn der Zeitrahmen überhaupt reicht: Vermutlich schlagen wir uns schon seit 20.000 oder 100.000 Jahren mit den gleichen Problemen herum. Gehrer war sich übrigens nicht sicher, ob ich das ernst meinte.

Wie muss ein guter naturwissenschaftlicher Unterricht beschaffen sein?

Das Wichtigste ist die Begeisterung des Lehrers. Das ist ansteckend. Der Rest sind Details.


Kopernikus, Darwin, die moderne Gehirnforschung: Man gewinnt den Eindruck, die Naturwissenschaften rücken immer weiter vor – und die Theologie muss sich zurückziehen.

Das Bild stimmt einerseits. Aber andererseits darf man nicht vergessen, dass die Theologie sich nur dort zurückzieht, wo sie eigentlich nichts zu suchen hat! Wenn die Theologie klug wäre, würde sie dorthin gar nicht vordringen. Es bleiben ja genügend Themen, über die die Naturwissenschaft nichts zu sagen hat und – so wie ich das sehe – auch nie etwas zu sagen haben wird. Ich verstehe auch gar nicht, warum man sich bemühen soll, die Existenz Gottes zu beweisen oder sie logisch herzuleiten. Gott darf nicht beweisbar sein. Wenn wir mit Sicherheit wüssten, dass es einen Gott gibt, dann gäbe es in der Folge das Gute nicht mehr: Dann bleibt doch nur noch ein rein opportunistisches Verhalten übrig!

Sie haben erwähnt, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Naturgesetze so zusammenspielen, dass Existenz möglich ist.

Das finde ich interessant: Es ist eine Tatsache, dass unsere Welt offensichtlich so konstruiert ist, dass also die Naturgesetze genau so beschaffen sind, dass Leben möglich ist. Es gibt etwa Untersuchungen, dass zum Beispiel Kohlenstoff nicht existieren würde, wenn die Naturkonstanten nur ein kleines bisschen anders wären. Kohlenstoff entsteht ja im Inneren von Sternen – und ohne Kohlenstoff kein Leben.

Dass etwas unwahrscheinlich ist, bedeutet noch nicht viel. Dass es ausgerechnet mich gibt, ist auch hochgradig unwahrscheinlich...

Aber wenn Sie nicht wären, dann wären da andere Menschen ... Das alles heißt übrigens noch nicht, dass es deshalb einen Gott geben muss! Aber ich finde das bemerkenswert. Es gibt übrigens Physiker, die in jedem einzelnen Wirken des Zufalls einen elementaren Schöpfungsakt sehen, weil sie sagen: Da entsteht etwas aus dem Nichts. Das ist eine reine Interpretationsfrage.

Das mit dem Zufall müssen Sie mir erklären: Wenn ich einen Würfel werfe, kann man das Ergebnis zufällig nennen, aber wenn ich alle Informationen hätte – über Geschwindigkeit, Fallhöhe, Winkel...

Dann könnte man das Ergebnis berechnen. Das ist der klassische Zufall. Das funktioniert in der Quantenphysik eben nicht mehr! Da hat auch der Würfel nicht die nötige Information. Es gibt keine tiefer liegende Erklärung dafür, warum ein Elektron sich verhält, wie es sich verhält. Ein Elektron kann einfach nur eine bestimme Menge an Informationen tragen – und wenn ich es zu etwas befrage, für das es die Information nicht trägt, wird die Antwort rein zufällig ausfallen. Es sagt irgendwas. So wie wenn ich einen Studenten etwas prüfe, der keine Ahnung hat, dann sagt er auch irgendetwas. Ob ein Teilchen nach links oder nach rechts fliegt – das ist also kein subjektiver Zufall, der daher kommt, dass ich nicht alles weiß, was ich wissen sollte, sondern ein objektiver Zufall. Es ist unmöglich, es vorherzusagen.

Und hier könnte man Gott finden?

Ein verbindender Gedanke aller Religionen ist ja der, dass es einen Gott gibt, der eingreifen kann in den Lauf der Welt, der jetzt – in diesem Moment– etwas verändern kann. Und dann stellt sich die Frage: Wie könnte er das anstellen? Jetzt gibt es natürlich die Möglichkeit eines Wunders, wie es von der Kirche postuliert wird. Damit habe ich mich nicht näher beschäftigt. Aber dieser objektive Zufall wäre tatsächlich eine Möglichkeit für Gott einzugreifen, ohne dass er mit den Naturgesetzen in Widerspruch gerät. Natürlich nur, wenn er das so selten macht, dass er die Gesetze der Wahrscheinlichkeit nicht verletzt. Wenn er alle Teilchen immer nach links lenken würde, müsste man irgendwann sagen: Da stimmt etwas nicht.

Ihr Spitzname lautet „Mr. Beam“. Bei der Teleportation wird die Eigenschaft eines Teilchens auf ein anderes übertragen.

Das Teilchen verliert dabei seine individuellen spezifischen Eigenschaften – aber die entsprechende Information wird auf ein anderes Teilchen übertragen und so erhalten. Das, was ein bestimmtes System ausmacht, ist die Information. Die Materie ist sekundär. Es ist egal, ob die Kohlenstoffatome dieser Blume vor uns aus diesem Material oder aus dem des Tischtuchs bestehen– das Wichtige ist, wie sie angeordnet sind. Im Moment versuchen wir die Teleportation über immer größere Distanzen zu verwirklichen. Außerdem ist Teleportation ein wichtiges Konzept, das im Quantencomputer Anwendung finden soll.

Lesen Sie eigentlich Science-Fiction?

Ja, zum Beispiel Michael Crichton, das ist ein hochinteressanter, brillanter Autor. „Time Line“ etwa handelt von ein paar Archäologen, die sich ins Mittelalter beamen. Gut gefallen hat mir auch sein „State of Fear“ – über eine Gruppe Umweltfanatiker, die künstliche Katastrophen produziert und unsere Welt in Angst und Schrecken versetzt. Was ich ja absolut nicht verstehe, ist dieser Kulturpessimismus, diese Technikfeindlichkeit: Wenn Leute meinen, wir steuern wegen der Auswirkungen der Technik auf das Ende einer bewohnbaren Erde, das Ende des Lebens, das Ende der Menschheit zu. Da muss ich nur sagen: Ihr leidet an gewaltiger Selbstüberschätzung. Das kann der Mensch gar nicht.


Kennen Sie Douglas Adams? Seinen Raumschiffantrieb namens Unendlichen Unwahrscheinlichkeitsdrive?

Douglas Adams hatte ein paar unglaubliche Ideen! Er hat in seinen Romanen eine sehr feine Ironie, eine Ironie, die aber nie zynisch wird, die immer positiv bleibt. Mein Segelboot ist nach ihm benannt: Es ist auf die Zahl 42 getauft – aus dem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“.

In diesem Roman wird ein Computer gebaut zum Zweck, die Frage aller Fragen zu beantworten – und nach Millionen Jahren Rechnerei lautet das Ergebnis: 42.

Ja, die Zahl 42 ist die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Woran wir wieder sehen, wie wichtig es ist, präzise Fragen zu stellen.

Steckbrief

20. Mai 1945
in Ried im Innkreis geboren. Zeilinger studierte von 1963 bis 1971 Physik und Mathematik an der Universität Wien.

1979
Habilitation an der TU Wien.

1990
Ordentlicher Universitätsprofessor an der Uni Innsbruck und Vorstand des Instituts für Experimentalphysik.

Seit 1999
ist er Universitätsprofessor an der Universität Wien.

2005
wurde Zeilinger von der renommierten englischen Wochenzeitung „New Statesman“ zu einem der „10 people who could change the world“ gewählt.

Der Asteroid (48681) Zeilinger wurde 2005 anlässlich des 60. Geburtstags von Anton Zeilinger nach ihm benannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2010)

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