Zu Besuch in 21 Wiener Synagogen

(c) AP (Markus Schreiber)
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Architekten der TU Wien haben alle jüdischen Tempel virtuell rekonstruiert. Bis 1938 gab es in Wien 22 große Synagogen und rund 100 Andachtsstätten oder Beträume in Wohngebäuden.

Wien hatte im Lauf der Geschichte dreimal florierende jüdische Gemeinden. Aus der österreichischen Geistes-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte sind diese nicht wegzudenken, an baulichen Überresten ist von ihnen aber kaum etwas geblieben. Aus dem Mittelalter sind es die Ausgrabungen unter dem Judenplatz, aus der Barockzeit ein paar Mauern der heutigen Kirche St. Leopold in der Großen Pfarrgasse und bis heute steht die Synagoge in der Seitenstettengasse.

Bis 1938 gab es in Wien 22 große Synagogen und rund 100 Andachtsstätten oder Beträume in Wohngebäuden. Diese reichen zurück bis in das Jahr 1823, als es der dritten jüdischen Gemeinde erlaubt wurde, den Stadttempel in der Seitenstettengasse zu errichten. Die meisten Synagogen entstanden erst nach der rechtlichen Gleichstellung der Juden 1867, besonders viele um die Jahrhundertwende – als Reaktion auf die starke jüdische Zuwanderung aus dem Osten auf die „Mazzesinsel“, den heutigen 2. und 20. Bezirk. Beteiligt waren die besten Architekten ihrer Zeit, etwa Joseph Kornhäusel, Ludwig von Förster oder die richtiggehend auf Synagogen spezialisierten Max Fleischer oder Wilhelm Stiassny.

Alle Synagogen mit Ausnahme des Stadttempels wurden in der Nacht von 9. auf den 10. November 1938 in der „Reichskristallnacht“ unwiederbringlich zerstört. Eine Gruppe von Architekten der TU Wien um Bob Martens hat diese Kulturschätze – und Zeugen der Judenverfolgung – allerdings nun wiederauferstehen lassen: am Computer in Form von virtuellen Rekonstruktionen. Die mehr als ein Jahrzehnt dauernde Forschungsarbeit ist im virtuellen Stadtführer „Die zerstörten Synagogen Wiens“ dokumentiert (Mandelbaum Verlag; 256 Seiten, 19,90 Euro).

Grundlage des „Wiederaufbaus“ sind Pläne und Unterlagen aus der Bauzeit, die in überraschend großer Anzahl in Wiener Bauarchiven erhalten sind. Es gebe zwar Lücken, so die Forscher, doch im Großen und Ganzen war das ausreichend, um die Gebäudehüllen am PC bauen zu können. Ein größeres Problem war die Einrichtung und Innengestaltung, doch zumindest von einigen Bethäusern gibt es Innenansichten, manchmal sogar in Farbe.

Die Rekonstruktionen enthüllen eine immense Formenvielfalt: von orientalischen Farborgien wie etwa bei der Sephardischen Synagoge (Zirkusgasse) bis hin zu funktionellen Räumen etwa bei der Hietzinger Synagoge (Eitelbergergasse).

Ein besonderer Fall ist die Synagoge in der Kaschlgasse 4: Diese wurde erst 1931 erbaut – allerdings nicht als frei stehendes Bethaus, sondern integriert in ein Wohnhaus. Der Sakralraum wurde zwar im November 1938 zerstört, doch die baulichen Reste im Erdgeschoß sowie der funktionalistisch gestaltete Eingangsbereich sind bis heute erhalten – sie wurden bis vor Kurzem als Supermarkt genutzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2010)

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