Evolution: Spie ein Vulkan die Götter aus?

(c) EPA (Dennis M. Sabangan)
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Durch eine Klimakatastrophe vor 73.000Jahren soll in Afrika der erste Kult entstanden sein, als Überlebenshilfe. Das ist eine der Hypothesen, die Religion in die Evolutionstheorie integrieren wollen.

Vor 100.000Jahren wanderten unsere Ahnen aus Afrika aus, in der Levante trafen sie auf Nachkommen einer früheren Wanderung, Neandertaler. 30.000Jahre lebten sie nebeneinander, dann wanderte H.sapiens nach Afrika zurück. Vor 60.000 Jahren kam er wieder, bald beherrschte er Eurasien; der Neandertaler verschwand. Was hatte die Gewichte verschoben? Ein gigantischer Vulkan: Vor 73.000Jahren brach auf Sumatra der Toba aus, unter der Kälte seiner Wolken brach die Menschheit fast zusammen, nur 2000H.sapiens überlebten.

Sie überlebten deshalb, weil sie (bzw. ihre Kinder, dazu später) sich etwas einfallen ließen: Religion. Vor 70.000Jahren wurde ein schlangenförmiger Stein in einer Höhle in Botswana so behauen, dass er noch schlangenähnlicher aussah, wie ein Python. Er war die erste Vergegenständlichung des Glaubens an überirdische Mächte, mit denen man in Kulthandlungen kommunizieren kann. Das ist aufwendig, erfordert Zeit und Opfer. Im Gegenzug sorgt es dafür, dass die Gruppe der Gläubigen enger kooperiert, intern Milde entwickelt – und Normen, über deren Einhaltung die Götter wachen – und nach außen um so härter zuschlägt. Mit diesem Rüstzeug überrannte H.sapiens, als er zum zweiten Mal kam, den Neandertaler.

So erzählt es Matt Rossano, Southeastern Louisiana University, und so genau wie er wusste noch keiner, „wo, wann und warum“ Religion entstand (in: Voland/Schiefelhövel, „The Biological Evolution of Religious Mind and Behavior“, Springer, 2009). Allerdings ist außer dem Vulkan alles Spekulation, schon deshalb, weil vermutlich auch die Neandertaler Religion hatten, zumindest bestatteten sie Tote (in jedem Fall überlebten auch sie die Toba-Abkühlung). Auch bei den Fakten ist nichts gesichert, weder die 2000 letzten H.sapiens noch der Python: Niemand weiß, ob der Stein eine Schlange darstellte und wie alt er ist, den Stein kann man nicht datieren.

„Glaubensinstinkt“...

Aber es passt in die Zeit. Auch Nicholas Wade, Wissenschaftsjournalist der „New York Times“, hat gerade einen „Glaubensinstinkt“ aufgespürt, der früh „im Gehirn verdrahtet“ wurde, weil er Vorteile brachte: Religionen stärken Gemeinschaften, durch die Bereitschaft, für sie zu opfern, auch das Leben („The Faith Instinct: How Religion Evolved and Why it Endures“, Penguin, 2009).

Deshalb wurde Religion laut Wade von der Evolution selektiert. Dass sie überhaupt etwas mit ihr zu tun haben soll, ist allerdings relativ neu, ein zweiter Nachhall auf Kreationismus bzw. „Intelligent Design“ (der erste kam in Gestalt eines kämpferischen Atheismus von Richard Dawkins, s.u.). Darwin selbst – studierter Theologe, der sich früh vom Glauben abwandte – sah keinen Bedarf, für ihn war es „ganz natürlich, dass der Mensch ab einem gewissen Entwicklungsstand von Einbildungskraft, Neugier und Vernunft über das Geschehen um ihn herum und seine eigene Existenz nachzudenken begann“. Auch später erschien vielen Biologen Religion nicht als Instrument der Evolution, sondern als Beiwerk: Stephen J.Gould etwa hielt sie für „Spandrel“ (auch: „Exadaption“), Zweitverwertung von Erfindungen, die für andere Zwecke gemacht wurden. So wie die Vögel zum Fliegen die Federn nutzten, die von Sauriern zum Wärmen entwickelt worden waren, so nutzten die Menschen die symbolischen Fähigkeiten, die sie zum Sprechen entwickelt hatten, für die Religion.

Allerdings gab es auch frühe Gegenstimmen außerhalb der Zunft. Als Erster vermutete der Ökonom Friedrich von Hayek, dass Religion gut in Darwins Zentrum passt: zu mehr Nachwuchs verhilft. Er behielt recht, die Volkszählung etwa in der Schweiz im Jahr 2000 bestätigt es. Michael Blume, Uni Heidelberg, hat sie ausgewertet – muslimische Frauen haben im Durchschnitt 2,44Kinder, jüdische 2,06, katholische 1,41, protestantische 1,35, konfessionslose 1,11 – und erklärt das Phänomen damit, dass mit dem Glauben das Vertrauen unter den Gläubigen wächst, das der Mütter in die Versorgung durch die Männer, das der Väter in ihre Vaterschaft (in: Voland/Schiefenhövel).

Allerdings haben schon viele Religionen just ihre reproduktionsstärksten Anhänger in Kriege geschickt, und manche verbieten die Reproduktion gar, die Shaker etwa (sie mehren sich durch Mission). Zudem lässt sich sozialer Zusammenhalt auch ohne überirdischen Beistand festigen, jede Räuberbande zeigt es, und für politische Ziele sind auch genug in den Opfertod gegangen.

...oder Kinderblick?

Das Spezifische an Religion und Evolution ist – falls vorhanden – mit (vulkan-)wolkigen Ansätzen nicht zu fassen, Blum hat es bemerkt und zur Abhilfe einen Wikipedia-Ableger eröffnet (wikireligiosus.eu). Dort werden sich auch Psychologen melden – viele suchen den Schlüssel zur Religion in Kindern, die unbelebte Gegenstände als belebt ansehen und ihnen zielgerichtetes Handeln unterstellen: „Die Sonne scheint, damit mir warm ist.“ (Rossano integriert das, er lässt den Schlangenkult von Kindern ersinnen.)

Vielleicht meldet sich auch John Tierney, noch ein Journalist der „NYT“, der das Buch seines Kollegen Wade zum Anlass nimmt, in Gegenrichtung zu spekulieren: Wie wird die Evolution der Religion weiter gehen? Tierney sieht eine um Umweltschutz zentrierte „grüne Kirche“ kommen, „aber mit Ritualen, die eleganter sind als das Mülltrennen“.

Erste Spur: 11.000Jahre

Gesicherte Götter gibt es erst, seit sie schriftlich angerufen werden. Sehr viel weiter kann auch die Archäologie nicht helfen: Die erste Kultanlage entstand von 11.000Jahren in Göbekli Tepe in Anatolien. Damals wurden dort Menschen und Götter sesshaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2010)

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