Der Flechten-Dreier

Flechte
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Lange galten Flechten als eine Zweierbeziehung zwischen Algen und Pilzen. Grazer Forscher identifizierten nun eine Dreierbeziehung mit Bakterien.

Was lange Zeit als Beziehung zwischen den zwei Symbiosepartnern Algen und Pilzen galt, entpuppte sich nun – wie aus dem Leben gegriffen – durch den mikroskopischen Blick als eine Ménage à trois. Flechten, die wohl widerstandsfähigste Lebensgemeinschaft, die die Natur je hervorgebracht hat, bilden mit spezifischen Bakteriengemeinschaften einen harmonischen Dreier. Martin Grube und Kollegen vom Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Graz haben Flechten schon seit Längerem als Forschungsschwerpunkt auserkoren. Dass in Flechten neben Algen und Pilzen noch andere Organismen leben, war ihnen bereits bekannt: Als man Kulturen anlegte, ließen sich viele Bakterien nachweisen. Doch erst mit dem Instrumentarium der Molekularbiologie konnte in einer Kooperation mit der TU Graz die Vielfalt der Bakterien kulturunabhängig untersucht werden – und zwar mit genetischen Fingerabdrücken und im Laserscanningmikroskop an DNA-spezifischen Färbungen von Gewebeschnitten. Dabei zeigte sich, dass verschiedene Flechtenarten spezifische Bakteriengemeinschaften beherbergen.

„Die Bakterien bilden dort dichte Biofilme, wo es mit Wasser benetzbare Oberflächen gibt“, erklärt Grube. Erste Untersuchungen lassen darauf schließen, dass die Bakterien Nährstoffe mobilisieren. Sie bauen Zellulose und Zucker ab, die von den Zellwänden abgeschieden werden. Zudem binden sie Stickstoff, den wiederum die Algen für ihre Ernährung brauchen. So übernehmen die Bakterien im Dreiergespann ganz wichtige „Verteiler- und Vermittleraufgaben“, ohne die die Flechten nicht optimal funktionieren könnten.

Doch ohne perfektes Timing geht gar nichts, immerhin müssen die verschiedenen Abläufe synchronisiert werden. Wie das Zusammenspiel koordiniert ist, soll nun näher studiert werden. Grubes Hypothese: „Die Stickstofffixierung durch die Bakterien funktioniert eher bei Nässe, während die Algen trockenere Bedingungen für die Fotosynthese benötigen.“

„Die Symbiosepartner sind aufeinander eingespielt“, verrät Grube das Beziehungskonzept der Flechten: „Die Pilze sind die Architekten der Flechten, die Algen mit ihrem Blattgrün die Solaranlagen und die Bakterien ein Düngungssystem“. Die Evolution der Flechten gibt ihnen recht. Mehr als 18.800 Arten sind bisher weltweit entdeckt worden. Untersuchungen von Grube und seinen Mitarbeitern deuten darauf hin, dass die Zahl noch weit nach oben revidiert werden muss.

Man könnte nun annehmen, dass Algen und Pilze erst im Laufe der Zeit die bakteriellen „Helferlein“ in ihre Partnerschaft aufgenommen hätten, um von ihnen zu profitieren. Das ist wenig plausibel, meint Grube. Die Pilze lebten möglicherweise unspezifisch in mikrobiellen Gemeinschaften, bevor sich mit der Zeit engere Bindungen und Partnerschaften mit Algen als evolutionär erfolgreich herauskristallisierten. Und das ist wohl das Erfolgsgeheimnis, mit dem es die Flechten schafften, nahezu alle Lebensräume der Erde zu besiedeln: Sie sind sogenannte Allroundkünstler, die in den heißesten Quellen, bis in 7000 Meter Seehöhe oder auch in den Dry Valleys der Antarktis überleben können – und das mit einer enormen Lebenserwartung von manchmal mehreren tausend Jahren.

Das alles bietet Wissenschaftlern eine perfekte Forschungsspielwiese. „Der Trend in den Pflanzenwissenschaften geht immer mehr dahin, die Pflanzen nicht als einzelne Organismen wahrzunehmen, sondern sie in ihren Interaktionen zu beobachten“, weiß Grube. „Man sieht zunehmend Verzahnungen zwischen den Organismen auf den verschiedensten Organisationsstufen. Enge Interaktionen zwischen den Arten sind sehr weit verbreitet und ein wesentlicher Evolutionsfaktor. Dieser systemische Gedanke macht das Ganze so spannend.“


Pilze gegen Stress. Vor allem in Stresssituationen haben Pflanzen, die mit Pilzen in Symbiose leben, ungeahnte Vorteile. „Pflanzen sind resistenter gegenüber Salz, Trockenheit oder Hitze, wenn sie ein ,Joint Venture‘ mit Pilzen eingegangen sind“, weiß Grube, der demnächst das Buch „Symbiose und Stress“ herausgibt, in dem dieser Aspekt näher diskutiert wird.

Flechten sind in diesem Zusammenhang besonders reizvoll, denn sie repräsentieren mit ihren Partnern ein Ökosystem en miniature. Ein überschaubares, abgegrenztes Gefüge, in dem alle notwendigen Lebensvorgänge auf kleinstem Raum mit einer geringen Ressourcennutzung optimal verwirklicht sind. Small is beautiful. Alles ist lokal über kurze Wege realisiert.


1000 Inhaltsstoffe. Viele Aspekte sind jedoch noch immer unverstanden. Dazu gehören zum Beispiel die 1000 Inhaltsstoffe der Flechten, auf die die Forscher bisher gestoßen sind. Nur wenige davon konnten bislang erforscht werden, manche sind antibakteriell, manche zytotoxisch. Noch einmal so viele Stoffe werden vermutet. So stellen Flechten eine riesige, derzeit noch brachliegende Bioressource dar.

Die Forschungspartner von Grube, ein Team um Gabriele Berg vom Institut für Umweltbiotechnologie der TU Graz, versuchen nun dieser biotechnologischen Schatzkammer auf die Spur zu kommen. Sie kultivieren in den Flechten vorkommende Bakterien, um deren biotechnologisches Potenzial auszuloten. Dabei konnten schon erste Erfolge verbucht werden. „Wir fanden, dass viele Bakterienstämme Funktionen beim Abbau von Proteinen und Polysacchariden haben und manche auch Hormone produzieren“, freut sich Grube, der in Flechten einen großen Pool an pharmazeutisch wirksamen Stoffen vermutet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2010)

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