Angkor: Opfer eines Klimawandels

Angkor Opfer eines Klimawandels
Angkor Opfer eines Klimawandels(c) AP (HENG SINITH)
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Abwechselnde Dürren und Fluten ruinierten die „hydraulische Stadt“. Infrastruktureller, ökonomischer und geopolitischer Stress hatten Angkor verletzlich gemacht.

"Es ist größer als alles, was Römer oder Griechen hinterlassen haben. Wer baute es? Wo sind die Nachkommen derer, die es gebaut haben? Es ist zweifelhaft, ob die Fragen je geklärt werden können. Alles, was wir haben, sind absurde Fabeln und extravagante Legenden.“ So beschrieb US-Geograf Vincent Frank 1878 die Stadt – bzw. das Wissen über sie –, die in ihrer Blüte die größte der Erde war und sich selbstbewusst „die Stadt“ nannte: Angkor, dort lebten auf 1000 Quadratkilometern eine Million Menschen um den größten je errichteten Tempelkomplex herum. Im Jahr 802 wurde die Königsstadt der Khmer im Norden Kambodschas gegründet, über Jahrhunderte beherrschte sie Südostasien – Legenden berichten von 70.000 Kriegselefanten –, 1431 brach sie unter dem Ansturm der Siam aus Thailand zusammen und verschwand unter dem wuchernden Dschungel.

Ganz vergessen wurde sie nie, sie blieb ein regionales religiöses Zentrum. Aber von der Außenwelt wiederentdeckt wurden ihre Reste erst im 19. Jahrhundert. Seitdem sucht man die Ursachen des Untergangs und hat sie in den jeweiligen Denkmustern gefunden, die in den Köpfen der Forscher – Europäer, vor allem Vertreter der Kolonialmacht Frankreich – gerade geherrscht haben: Erst setzte man auf Kriege – im Westen mit Thailand, im Osten mit Vietnam, im Norden mit China –, dann auch auf soziale Unruhen, das Reich der Khmer hatte eine breite Oberschicht, Hof und Priester, die von den Bauern ernährt werden mussten. Dann, in den letzten Jahrzehnten, richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Umwelt bzw. deren Zerstörung: Angkor war eine „hydraulische Stadt“ – so definierte sie der französische Anthropologe Bernard-Philippe Groslier in den 50ern –, von einem Netz künstlicher Wasserwege durchzogen, die im Norden der Stadt Flüsse anzapften, im Süden Reisfelder bewässerten und dazwischen, oft zu Seen erweitert, die Macht und Herrlichkeit der Paläste und Tempel spiegelten.

Selbst gemachte Umweltkatastrophe?

Aber auch dort hatten sie profane Funktionen, auf ihnen floss der Verkehr, in ihnen gediehen Fische. Das gigantische System verfiel vermutlich durch Rodungen im Norden bzw. die ihnen folgende Erosion, die Kanäle verstopfte, manche zeigen noch die hektischen Versuche, die Adern der Stadt zu retten: Selbst gemachte Umweltkatastrophe, das ist die heutige Haupthypothese.

Aber sie ist wohl nur Teil der Wahrheit: Angkor wurde auch von einer Katastrophe getroffen, die vom Himmel kam, der abwechselnd Dürren und Fluten brachte. Das liest eine Gruppe um Brendan Buckley (Columbia University) aus Baumringen in Vietnam, in denen das regionale Klima über 979 Jahre archiviert ist, von 1030 bis 2008. Demnach zeigen die letzten 120 Jahre eine starke Korrelation zwischen dem Monsun und den Klimaphänomenen der El Niño-Southern Oscillation (ENSO), in der der Ostpazifik abwechselnd wärmer wird („El Niño“) und kühler („La Niña“). El Niño bringt Trockenheit über Ostasien, La Niña Güsse.

So ist das in den letzten 120 Jahren. Wann und wie stark ENSO früher auf- und abging, ist nicht dokumentiert, aber es muss im endenden 14. und beginnenden 15. Jahrhundert außergewöhnlich gewesen sein: Die Baumringe aus Vietnam und die Kanäle in Angkor zeigen gegen Ende der Stadt ausgedehnte Dürreperioden, denen kurze Sintfluten folgten, eine verstopfte einen Kanal mit gleich 1,40 Meter Sediment. Alles wollen die Forscher ENSO nicht zurechnen, aber: „Die zerstörte Infrastruktur der Wasserregulierung muss als wichtiger zusätzlicher Stressfaktor betrachtet werden. Infrastruktureller, ökonomischer und geopolitischer Stress hatten Angkor verletzlich für einen Klimawandel gemacht.“ (Pnas, 29. 3.)

Klimaphänomen ENSO

El Niño-Southern Oscillation (ENSO) ist ein Klimaphänomen, das periodisch dem Pazifik Wärme bringt („El Niño“) oder Kühle („La Niña“). El Niño hat globale Folgen: Dürren in Asien, Fluten in Südamerika.

("Die Presse" Printausgabe vom 30. März 2010)

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