Der Streit um den Embryo

Streit Embryo
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Buchstaben-Mutationen in den Genen können krank machen. Uneinigkeit besteht hinsichtlich der Untersuchung des Embryos im Achtzellstadium. Es gibt eine Diskrepanz, die nicht so ohne Weiteres nachvollziehbar ist.

Genmäßig sind wir Menschen uns verdammt ähnlich: Die Erbinformation ist bei allen nahezu identisch, das Genom unterscheidet sich nur in einer Größenordnung von vielleicht 0,1 Prozent. „Jeder Mensch hat prinzipiell die gleichen rund 30.000 Gene, und ganz wichtig: Der Mensch ist nicht auf seine Gene reduzierbar“, erwähnte Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger bei der letzten Sommerakademie der österreichischen Apothekerkammer.

Als Hengstschläger, Leiter des Instituts für medizinische Genetik der medizinischen Universität Wien, vor 20 Jahren zu studieren begann, „war in den Lehrbüchern noch von 150.000 Genen die Rede. So manches von dem, was damals in den Büchern stand, stimmt heute so nicht mehr.“

Nur ein einziger Buchstabe

Heute weiß man unter anderem, dass jedes Gen tausende bis hunderttausende ATGC-Basen hat (A steht für die Base Adenin, T für Thymidin, G für Guanin, C für Cytosin). „Und wenn nur ein einziger Buchstabe in einem der vielen Genabschnitte eines Menschen verändert ist, kann das schon für eine Krankheit ausreichen.“ An welcher Stelle jemand beispielsweise ein A statt eines Gs hat, vermag über Gesund oder Krank zu entscheiden.

„Bisher kennt man schon etwa 3000 Gene, bei denen solche Buchstaben-Mutationen eine Erkrankung zur Folge haben“, weiß Hengstschläger. „Aber es dürften wohl noch mehr Gene sein, von denen man es heute noch nicht weiß.“

Kein Eiweiß, keine Behinderung

Wenn das Genprodukt für Phenylalaninhydroxylase nicht richtig funktioniert, kann die Aminosäure Phenylalanin nicht abgebaut werden. Die Folge: Toxische Abbauprodukte reichern sich im Körper an. Dies führt zu Phenylketonurie (PKU), einer häufigen angeborenen Stoffwechselstörung, die mit schwerer geistiger Behinderung einhergehen kann. Allerdings lässt sich dem entgegenwirken. „Wird mit einer eiweißfreien beziehungsweise eiweißarmen (phenylalanin-freien) Diät bereits im Säuglingsalter begonnen, dann können die Betroffenen oft weitgehend gesund bleiben“, so Hengstschläger. Letztlich müssen sie eiweißhaltige Nahrungsmittel – also Fleisch, Fisch, Milch, Käse, Joghurt, Eiprodukte – meiden oder sich einschränken.

Jedes in Österreich geborene Kind – rund 75.000 sind es im Jahr – wird übrigens im Rahmen des Neugeborenen-Screenings auch auf diese Genmutation hin untersucht: Ein Stich in die Ferse, eine Blutuntersuchung – acht bis zehn Fälle entdeckt man auf diese Weise pro Jahr.

Untersuchung vor Implantation

Eine andere Art der genetischen Untersuchung ist die Präimplantationsdiagnostik (PID), die nur bei künstlicher Befruchtung möglich ist: Vor der Implantation des Embryos wird dieser auf etwaige genetische Krankheiten hin untersucht – entweder mittels Polkörperdiagnostik oder Blastomeranalyse. „Es bedarf da genauester medizinischer, ethischer und juristischer Abwägung und einer ausführlichen Beratung der Patienten, bevor die Tests zum Einsatz kommen“, betont Hengstschläger.

Äußerst eingeschränkt erlaubt

Bei der Polkörperdiagnostik (PKD), in Österreich uneingeschränkt erlaubt, findet die genetische Testung an den Polkörpern der Eizelle statt. Darunter versteht man Folgendes: Im Zuge der Reifung einer Eizelle wird bei der sogenannten Reduktionsteilung der normale (also doppelte) Chromosomensatz der Eizelle halbiert und so auf die Befruchtung mit dem männlichen Erbgut vorbereitet. Die nun überzähligen Chromosomen werden über sogenannte Polkörper aus der Eizelle geschleust.

Für die weitere Entwicklung des Embryos braucht es diese Polkörper nicht mehr. Da sie aber das spiegelbildliche Erbgut der Eizelle haben, kann man über ihre genetische Analyse Rückschlüsse auf das Erbgut der Eizelle ziehen. Übrigens: Je nach Alter der Frau weisen 20 bis 70 Prozent der Eizellen eine genetische Auffälligkeit auf. Nachteil der PKD: Sie ermöglicht keine Untersuchung des väterlichen Erbguts.

Hengstschläger: „Zirka 100 verschiedene monogenetische Erkrankungen, die durch eine Mutation in einem Gen ausgelöst werden, wie Zystische Fibrose, Glasknochenkrankheit oder Chorea Huntington wurden weltweit bereits durch Polkörperdiagnostik und Blastomeranalyse diagnostiziert.“

Die Blastomeranalyse ist in Österreich nur äußerst eingeschränkt erlaubt. „Dabei wird dem zwei Tage alten Embryo im Achtzellstadium eine Zelle entnommen und diese untersucht. Aus dem verbliebenen siebenzelligen Embryo kann ein gesundes Kind entstehen. Ist die untersuchte Zelle mit einer schweren, möglicherweise tödlichen genetische Erkrankung behaftet, wird der Embryo der Mutter nicht eingesetzt“, betont der Genetiker und kritisiert: „Diese für bestimmte Fälle wünschenswerte Methode ist in Österreich mit großen Restriktionen behaftet und wird daher auch aktuell nicht durchgeführt. Aber später, wenn der Embryo zwölf Wochen ist, kann laut Gesetz ein Schwangerschaftsabbruch erfolgen und in Ausnahmefällen auch noch in der 24. Schwangerschaftswoche.“ Bei schwersten Erkrankungen erlaubt es das Gesetz prinzipiell auch später noch, frühzeitig Wehen auszulösen, nachdem der Arzt dem bereits lebensfähigen Baby eine toxische Substanz ins Herz injiziert hat. „Das Kind kommt dann tot zur Welt. Das machen Ärzte in Österreich vielleicht zehn bis 15 Mal im Jahr, natürlich nur nach genauester interdisziplinärer Abwägung und Beratung.“

Da ist die Politik gefragt

Was den Schutz des Embryos betrifft, gibt es hierzulande also eine Diskrepanz, die nicht so ohne Weiteres nachvollziehbar ist. „Das wurde von der Bioethikkommission auch schon mehrfach aufgezeigt“, weiß Hengstschläger. „Es gibt bereits Empfehlungen, die Präimplantationsdiagnostik über Blastomeranalyse oder etwa auch embryonale Stammzellforschung in Österreich zu erlauben – am Zug ist die Politik.“

AUF EINEN BLICK

Neugeborene werden in Österreich auf Genmutationen hin gescreent.

Umstritten ist eine Art der genetischen Untersuchung eines Embryos vor der Implantation bei künstlicher Befruchtung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2010)

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