Ein neues Gesicht: "Bin das wirklich ich?"

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Forscherkoryphäe und Bioethiker Arthur Caplan spricht im Interview mit der "Presse" über die Bedeutung von Gesichtstransplantationen für Spender und Patienten und die Grenzen zwischen Mensch und Maschine.

Die Presse: Vor fünf Jahren wurde zum ersten Mal erfolgreich ein Gesicht transplantiert. Sie beschäftigen sich mit dem Thema – aus einer ethischen Perspektive.

Arthur Caplan: Ich bin vor etwa zehn Jahren darauf gestoßen, als ein solcher Eingriff noch bloße Möglichkeit war. Ein Herz oder eine Leber nicht zu bekommen, könnte den Tod bedeuten. Beim Gesicht sieht's anders aus. Aber natürlich ist die Operation gefährlich. Die Frage lautet daher: Darf man riskieren, dass jemand stirbt, nur um dessen Lebensqualität zu erhöhen? Wenn das Bedürfnis so stark ist, dass diese Menschen das Risiko auf sich nehmen, dann ist die Antwort: ja.

Das Gesicht hat kulturellen und symbolischen Wert. Wie zentral ist es für die Identität eines Menschen?

Leute werden durch zwei Körperteile identifiziert: Gesicht und Hände. Beide sind meist unbedeckt und ganz offen zu sehen. Würde meine Frau sterben, könnte ich sie schon anhand der Hände identifizieren. Niemand identifiziert sich mit seiner Niere oder Leber. Wir haben es bei solchen Transplantationen mit ganz neuen ethischen Niveaus zu tun.

Medizinisch birgt so eine Operation große Risiken. Welche Schwierigkeiten gibt es sonst noch?

Viele Menschen haben nach der Operation psychologische und soziale Probleme, wollen nicht mit anderen gesehen werden, verfallen in Depressionen. Manchmal können auch die Familien nicht damit umgehen. Jeder kann sich verkleiden. Aber diese Patienten fühlen sich nicht mehr als sie selbst.

Verändert die Möglichkeit, ein Gesicht zu verpflanzen, nicht auch die Situation der Spender?

Man muss den Leuten eines klar machen: Wenn du Organspender bist, kann das auch dein Gesicht betreffen. Oder deine Hände. Und man muss umsetzen, dass diese wirklich genommen werden dürfen, was den Leuten Angst machen könnte, sodass sie sagen: „Das ist mir zu unheimlich!“ Auch die Familie des Spenders muss einbezogen werden. Stellen Sie sich vor, ein Familienmitglied begegnet diesem Gesicht auf der Straße...

Wer eine Gesichtstransplantation durchführen darf, ist die eine Frage. Wer das Gesicht bekommen soll, die andere.

Genau. Macht man es auch mit Kindern? Mit einem, der sich umbringen wollte und sich das Gesicht weggeschossen hat? Mit einem Soldaten, um ihn nach dem Krieg als Helden darzustellen? Wäre es allgemein zugänglich, würden es mehr Leute wollen, als möglich ist.

Schon die antiken Griechen haben Modifikationen an ihren Körpern vorgenommen. Die Arbeit am Körper wird aber auch als Kulturverfall begriffen: Eltern streiten mit ihren Kindern über Tattoos und Schönheitsoperationen ...

Wenn man seine Nase nicht mag, kann man das ändern, das ist o.k. Mir macht Sorgen, dass plastische Chirurgie Geld und Ressourcen von wichtigeren Dingen abzieht. Weltweit sterben zig Menschen an Durchfall. Denen nicht zu helfen, ist das moralische Problem.

Die Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari haben behauptet, dass das Gesicht erst mit der Frontalabbildung Jesu Christi in den Mittelpunkt unserer Kultur gerückt ist.

Ich glaube, dass Gesicht und Identität seit jeher verknüpft sind. Noch bei der Fotografie dachten die Leute, dass diese ihre Seele stiehlt. Heute identifizieren wir Menschen durch Fingerabdrücke, auch über die DNA. Es gibt neue Tricks und Verfahren, um festzulegen, wer man ist. Aber denken Sie an einen Schönheitswettbewerb: Die mit dem hübschesten Gesicht gewinnen, nicht die mit dem schönsten Körper.

Wie hat sich durch technische und medizinische Innovationen der Blick auf den Körper geändert?

Im 16.Jahrhundert hat man noch die Frage gestellt, wo denn der Sitz der Seele ist. Heute will man das Wesen des Menschen im Gehirn aufspüren. Wir begreifen den Körper als etwas Medizinisches, ersetzen Hüften, setzen neue Herzen ein. Es gibt einen Wandel im 20. Jahrhundert: Die Medizin begreift den menschlichen Körper als Material, das sie manipulieren kann. Als wäre er ein Auto, das repariert werden muss. Das ist neu und von früheren Kulturtechniken losgelöst.

Von „Terminator“ bis „Blade Runner“: In der Populärkultur wimmelt es vor Cyborgs und Mensch-Maschine-Hybriden. Auch in der Philosophie ist das ein großes Thema.

Der Transhumanismus etwa behauptet, dass wir unseren Geist in Computer oder andere Körper hochladen können und damit unsterblich werden. Ich sehe das kritischer: Stellen Sie sich vor, ich würde meinen Körper einfrieren und Jahrhunderte später aufwachen. Ich würde mich verloren fühlen, hätte keine sozialen Beziehungen. Ich wäre ein Freak, ein Alien aus der Vergangenheit. Wer wir sind, hat immer damit zu tun, wie wir mit anderen interagieren. Es ist nicht nur mein Gehirn in einem Glas voll Chemikalien!

Das betrifft auch Gesichtstransplantationen?

Ja, wenn man aufgeschnitten wird und ein anderes Gesicht bekommt, verliert man die soziale Dimension seiner Persönlichkeit. Wenn man älter wird – so wie ich – und auch ein paar Wehwehchen hat, weiß man recht gut, dass der Körper ein Teil von einem ist. Wenn der Geist in einem anderen Körper wäre, würde das ein anderes Selbstgefühl geben. Da stellt sich dann die Frage: Bin das wirklich ich?


Auf einen Blick

Arthur L. Caplan ist einer der bedeutendsten Bioethiker der Gegenwart. Er ist Professor an der University of Pennsylvania und hat über 25 Bücher sowie zahllose wissenschaftliche Artikel über medizinische Forschung und Bioethik publiziert. [Penn University]

„Ethics of Face Transplantation“ ist der Titel des Vortrags, den Caplan heute (Dienstag) hält: um 17 Uhr in der Kapelle im Alten AKH, Uni-Campus, Hof 2, Spitalg. 2-4, 1090 Wien. Organisiert von Life Science Governance. Mehr Information unter: www.univie.ac.at/LSG

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2010)

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