Pharmakologen: Ideengeber für Designerdrogen?

Pharmakologen Ideengeber fuer Designer
Pharmakologen Ideengeber fuer Designer(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
  • Drucken

Wissenschaftliche Publikationen fallen nicht nur Fachkollegen ins Auge, sondern auch ungebetenen Mitlesern. Etwa aus der Drogenindustrie - für die Entwicklung neuer synthetischer Drogen.

Hat David Nichols, der seit über 40 Jahren an der Purdue University als Pharmakologe arbeitet, Menschen auf dem Gewissen? Dieser Verdacht beschlich den Forscher, als er im Oktober im „Wall Street Journal“ las, dass ein Drogenhändler bzw. -designer seine, Nichols, Arbeiten als „besonders wertvoll“ lobte. Wertvoll wofür? Für die Entwicklung synthetischer Drogen, die so neu sind, dass sie noch nicht einmal verboten sind und deshalb „legal highs“ heißen.

Eine davon heißt MTA (4-Methylthioamphetamin) und ist ein Amphetamin, das MDMA (3,4-Methylendioxymethamphetamin) ähnelt; letzteres wurde später als Ecstasy berühmt. Das war es 1982 noch nicht; damals testete Nichols, ob MDMA Psychotherapien unterstützen kann – oder ob strukturell ähnliche Substanzen es können. So kam er auf MTA. Dieses sorgt im Gehirn nicht nur für die Freisetzung des Neurotransmitters Serotonin („Glückshormon“), es verhindert auch seinen Abbau und hält die Konzentrationen so hoch, dass Menschen daran sterben können. Mindestens sechs taten das auch, nachdem sie MTA als Droge konsumiert hatten: Nichols Publikationen werden nicht nur von Fachkollegen gelesen, sondern auch von Spezialisten der Drogenindustrie. „Ohne mein Wissen haben sie MTA synthetisiert und in Tabletten gepresst, die, passend genug, ,flatliner‘ (das ist der Tod durch Herzstillstand bzw. die nicht mehr zackende Linie, die ihn am Monitor anzeigt, Anm.) genannt wurden“, berichtet Nichols. „Ich habe Informationen publiziert, die am Ende zu Todesfällen führten.“

Aber was soll er auch sonst tun, er experimentiert – an Tieren – mit vielen Substanzen, die das Gehirn beeinflussen, etwa auch mit LSD oder Meskalin oder einem Molekül, das er nicht verrät und nicht verraten hat. Er hat es nicht publiziert, weil er wusste, dass es hochgiftig ist. Bei vielen anderen weiß er das nicht, er prüft seine Substanzen nicht auf ihre Toxizität, das ist nicht seine Arbeit, er sucht Wirkstoffe. Getestet werden sie später, an Patienten, auf „Sicherheit“ (d. h. auf Effekte, die sich rasch zeigen; langfristige werden in klinischen Tests auch nicht erkannt).

So kommt der Pharmakologe, wie viele andere Forscher auch, aus der Mühle nicht heraus, dass Wissenschaft vom Publizieren lebt – und ungebetene Mitleser nicht ausschließen kann. Er kann nur versuchen, Schaden zu minimieren: „Im letzten Jahr habe ich gehäuft Anfragen von Gerichtsmedizinern zu Materialien bekommen, die wir in unserem Labor studierten und die dann am Schwarzmarkt auftauchten, aber so neu waren, dass es noch keine standardisierten Analyseverfahren gab.“ (Nature, 496, S.7.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.