Heikle Balance: Altern oder Krebs?

Molekularbiologie. Ein Gen, das vor Krebs schützt, startet auch die Zell-Alterung.

"There is no free lunch", sagen amerikanische Natur- und Wirtschafts wissenschaftler gern, was sich auf Wienerisch gut mit "Umsonst ist der Tod, und der kostet's Leben" übersetzen lässt. Diese stoische Weisheit bestätigt sich in der Molekularbiologie immer wieder - auch und gerade wenn es darum geht, wie man den Tod möglichst lange hinauszögert und das Altern aufhält.

So entdecken gleich drei von Nature heute online publizierte Arbeiten ein Protein mit dem unaussprechlichen Namen p16INK4a (hier im Weiteren lässig als p16 abgekürzt), das als Tumorsupressor - also als Teil der Abwehrmaschinerie des Körpers gegen Krebs - gilt, als zweischneidiges Schwert.

Einerseits hat p16 eine Schlüsselfunktion in der Kontrolle der Zellteilung, damit auch im Schutz vor Krebs, der ja im Wesentlichen unkontrollierte Zellteilung ist. Das weiß man seit Mitte der Neunzigerjahre.

Andererseits stoppt p16 nicht nur den Zellzyklus, sondern leitet auch die Alterung ("Seneszenz") der Zelle ein: Darunter verstehen die Molekularbiologen im Grunde, dass die Zelle die Zellteilung einstellt. In vielen Geweben wird das p16-Gen mit steigendem Lebensalter immer mehr abgelesen, womit die Zellen im Ruhestand sich häufen. Damit altern die Gewebe insgesamt.

Forscher um Viktor Janzen (Harvard University) zeigten das an Mäusen für die blutbildenden Stammzellen im Knochenmark: Hier ist das p16-Level geradezu ein Biomarker für das Alter. Mäuse, bei denen das fürs p16-Protein zuständige Gen ausgeschaltet wurde, haben im Alter mehr aktive Zellen und ein besseres Immunsystem.

Ähnliches ergaben Arbeiten an der University of North Carolina: Mäuse ohne intaktes p16 sind weniger anfällig für Funktionsstörungen der Inselzellen der Bauchspeicheldrüse, also für Diabetes. Dieser Zusammenhang bestätigt die Auffassung, dass Typ-2-Diabetes eine typische Alterskrankheit ist.

Selbst in einer Hirnregion, in der auch bei Erwachsenen noch neue Neuronen entstehen, der "subventrikularen Zone", gilt: p16 ist zumindest mit schuld daran, dass im Alter dort weniger neue Neuronen gebildet werden. Das erforschte ein Team um Sean Morrison an der University of Michigan.

Das Bild ist eindeutig: All diese Zellen verfallen nicht einfach vor sich hin, sondern werden aktiv abgeschaltet. Wobei bisher nicht klar ist, was den Anstieg der p16-Expression im Alter auslöst: Hormone? Kumulierende Schäden durch oxidative Belastung? Oder gar eine Art innere Lebensuhr?

Die Abschaltung der Zellen erfolgt jedenfalls mit einem - komplizierten - Mechanismus, der vor Krebs schützen soll. (Auch das berühmte "Wächter-Gen" p53, das auch bei der Regulierung des Zellzyklus mitspielt, scheint übrigens eine ähnliche "Nebenwirkung" zu haben.) Tatsächlich zeigten die Mäuse ohne funktionierendes p16 zwar im Alter vergleichsweise muntere Zellen in Pankreas, Knochenmark und Hirn, litten und starben aber viel häufiger an Krebs. So dass sie im Durchschnitt nicht länger lebten als Mäuse, deren p16 ihre Gewebe schneller altern ließ, sie aber vor Krebs behütete.

"Mit einem Medikament, das p16 ausschaltet, hätten wir wohl eine Therapie gegen degenerative Krankheiten", sagt Morrison: "Aber man müsste die Patienten genau auf Krebsbildung kontrollieren. Umgekehrt könnten Medikamente, die die p16-Funktion nachahmen, zur Krebsbekämpfung dienen." Die Balance ist und bleibt heikel.

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