Biologie: Haben Kraken neun Gehirne?

Biologie Haben Kraken neun
Biologie Haben Kraken neun(c) EPA (ADAM WARSAWA)
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Kraken haben zwar ein zentrales Gehirn im Kopf, aber über die Hälfte ihrer 500 Millionen Nervenzellen sitzt in Strängen in den acht Armen. Es müssen enorm viele Sinneseindrücke in Bewegungsbefehle umgesetzt werden.

Kraken sind klug, die deutschen Fußballfans lernten es bei der WM fürchten: Man hatte bisweilen den Eindruck, das achtarmige Orakel denke mit den Armen über den Sieger der nächsten Partie nach. Das ist nicht ganz absurd: Kraken haben zwar ein zentrales Gehirn im Kopf, aber über die Hälfte ihrer 500 Millionen Nervenzellen sitzt in Strängen in den acht Armen. Peter Godfrey-Smith, Philosoph in Harvard, hält das für „distributed mind“ und spekuliert darüber, ob Oktopusse neun Gehirne haben.

Überforderte Zentrale?

Die sind nicht alle gleich, die Nerven in der Peripherie – den Armen – arbeiten autonom, sie liefern Reflexe, mit denen Beute ergriffen wird, die in einer Felsspalte ertastet wurde. Das muss rasch gehen und kann in alle Richtungen erfolgen, Kraken haben kein Skelett, sie können ihre Arme beliebig drehen. (Das bringt ihnen ein Problem, sie haben auch keine Gelenke und müssen sich zum Abwinkeln des Armes Ersatz schaffen; sie tun das mit den Muskeln, lassen zwei Kontraktionswellen so gegeneinanderlaufen, dass am Treffpunkt das „Gelenk“ entsteht).

Es müssen also enorm viele Sinneseindrücke in Bewegungsbefehle umgesetzt werden, die den Krakenarm lenken, seine unendliche Freiheit einschränken. Diese Fülle an Informationen und Handlungsmöglichkeiten könne nur an Ort und Stelle bewältigt werden, in der Peripherie, vermuten viele Forscher: Das weit entfernte Gehirn wäre schlicht überfordert. Deshalb sei es beim Futtergreifen ohnmächtig, es helfe ihm nichts, wenn seine scharfen Augen Beute melden.

„Wir haben gezeigt, dass ein Oktopus sehr wohl in der Lage ist, über die Augen aufgenommene Information in Motorik umzusetzen“, widerspricht Ruth Byrnes (Med-Uni Wien), die an einem Experiment einer Gruppe um Tamar Gutnick (Hebrew University of Jerusalem) beteiligt war: Kraken wurden in ein „Labyrinth“ aus Plexiglas gesetzt, vor eine Röhre, die am Ende drei Kammern hatte, in einer war Futter. Und diese Kammer war mit einer für die Tiere sichtbaren schwarzen Scheibe gekennzeichnet. Von sieben Tieren bewältigten sechs die Aufgabe – sie ist kompliziert, der Krake muss erst einen Arm in die Röhre strecken und dann eine Kammer wählen –, nach 61 bis 211 Versuchen hatten sie gelernt, wie sie an das Futter kommen (Current Biology, 10.3.).

Künstliche Kraken-Roboter

Es gibt also beides, die direkte Steuerung in der Peripherie und die über das Gehirn. Wie Letzteres funktioniert, ist rätselhaft – es braucht riesige Rechnerkapazitäten –, aber die Forscher sind zuversichtlich, es nicht nur zu klären, sondern auch nutzbar zu machen: Ihr Experiment fand im Rahmen des EU-Projekts „Octopus“ statt, das künstliche Kraken entwickeln will, Roboter, deren Arme so weich sind und so viele Freiheitsgrade haben wie die der Namensgeber.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2011)

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