Feine Signale der Pflanzen

Feine Signale Pflanzen
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Die Erforschung des Metaboloms macht den Stoffwechsel einer Pflanze sichtbar. Dadurch kann man studieren, in welchem Zustand sich ein Organismus befindet.

Die Bäume stehen nach der kargen Winterzeit wieder in vollem Saft, Gräser und Blumen sprießen aus dem Boden und verwandeln die eintönigen grau-braunen Wiesen in eine bunte Blütenpracht. Umso bunter, desto mehr Arten gedeihen; Biodiversität, also die biologische Vielfalt, ist ein Kennzeichen für ein funktionierendes Ökosystem.

Biodiversität fördert die Produktivität der Pflanzen – zumindest gingen die Wissenschaftler bisher davon aus. Doch ähnlich wie in sozialen Gesellschaften muss das differenzierter betrachtet werden, denn wie wir zumindest in Österreich durch einen Altbundeskanzler nach der Kreisky-Ära wissen: „Es ist alles sehr kompliziert!“ Vielfalt führt oftmals zu Problemen, auch im Pflanzenreich.

Diesen komplexen Zusammenhängen widmet sich Wolfram Weckwerth, Leiter des Departments für Molekulare Systembiologie der Universität Wien, und seine Forschungsgruppe. „Pflanzen geben viel feinere Antworten auf die um sie herrschenden Umweltbedingungen, als wir es bisher für möglich gehalten haben“, erklärt der Systembiologe.

Aber wie reagieren und „antworten“ Pflanzen auf ihre Umgebung? Ihre Sprache sind die Stoffwechselprodukte, die sie produzieren, im Fachjargon Metabolite genannt. „Zucker, die Fettsäuren, Aminosäuren, organische Säuren und vieles mehr zu einem bestimmten Zeitpunkt im Körper einer Pflanze geben uns Auskunft über ihren momentanen physiologischen Zustand“, so Weckwerth. So spiegelt deren Zusammensetzung zum Beispiel wider, ob die Pflanze aktuell an Kälte oder Dürre leidet oder vielleicht gerade vorher mit Stickstoff gedüngt wurde.

Während das Genom – die Gesamtheit aller Gene – von Mensch, Tier und Pflanze das ganze Leben lang gleich bleibt, ist das Metabolom – die Gesamtheit der Stoffwechselprodukte – einem ständigen Wandel unterworfen, abhängig von Umwelt, Ernährung, Tag-Nacht-Rhythmus und Krankheiten. Kennt man also die Stoffwechselprodukte eines Organismus, dann lässt sich auf dessen aktuelle Produktivität und Aktivität schließen. Und wie bereits angedeutet, steigen diese beiden Faktoren nicht unbedingt mit einer hohen Biodiversität in einer Pflanzengemeinschaft.

Im Rahmen des sogenannten Jena-Experimentes (siehe Kasten) haben Weckwerth und seine Kollegen eine Wiesenvegetation genau unter die Lupe genommen. „Auf kartiertem Gelände sind Versuchsflächen mit unterschiedlichen Pflanzenmischungen typischer Graslandgesellschaften, wie man sie auch auf Wiesen im Wienerwald finden kann, angelegt worden. Die Metabolome bestimmter Pflanzen wurden über mehrere Jahre untersucht. Darauf basierend konnten wir auf die Interaktionen und Produktivität der individuellen Pflanzenarten schließen.“

Dazu wurden die Pflanzen gleich nach dem Pflücken in flüssigem Stickstoff eingefroren, damit sich das Metabolom nachträglich nicht verändert. Anschließend wird das biologische Material im Mörser zerkleinert, die DNA und Proteine werden mithilfe organischer Lösungsmittel extrahiert, die verbleibenden Moleküle durch Gaschromatografie getrennt. „Auf diese Weise erhalten wir bis zu 3000 Signale, nur wenige davon können wir jedoch identifizieren.“ Bis zu 200 unterschiedliche Metabolite können die Forscher bislang herausfiltern und benennen. Die Molekülmassen der einzelnen Stoffwechselprodukte werden dazu mit tausenden Referenzsubstanzen in speziell dafür angelegten Bibliotheken verglichen, identifiziert und quantifiziert.

Das Ergebnis der Untersuchungen: Einige Pflanzen zeigten eine erhöhte, andere Pflanzen derselben Art wiederum eine geringere Produktivität, jeweils abhängig von ihrer Umgebung. Pflanzen sind also sehr anpassungsfähig. Diese Eigenschaft ist an den Stoffwechselprofilen der einzelnen Pflanzenindividuen hervorragend abzulesen.

„Auf Pflanzenarten umgelegt, konnten wir feststellen, dass Löwenzahn und Gänseblümchen mit zunehmender Biodiversität in ihrer Umgebung mit einer Limitierung ihres Kohlenstoff- und Stickstoffhaushaltes reagieren“, fasst Weckwerth seine Untersuchungsergebnisse zusammen. Andere Pflanzenarten wie zum Beispiel die Acker-Witwenblume und das Nähkisselchen sind davon wenig beeinflusst, während der Gewöhnliche Hornklee seine Produktivität steigert.

Diese Forschungsresultate lassen natürlich im Rahmen der Aufklärung komplexer ökologischer Zusammenhänge einiges Spannende für die Zukunft erwarten. Wolfram Weckwerth ist gerade dabei, ein österreichisches Netzwerk für die Metabolomforschung aufzubauen. Denn diese Wissenschaftssparte ist nicht nur für die Ökologie von großem Interesse, sondern auch für die Mikrobiologie und die Medizin.

So beschäftigt sich ein von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) finanziertes Projekt der Systembiologen gemeinsam mit dem Industriepartner Biocrates Life Science mit der sogenannten „Personalisierten Medizin“, in der individuelle Stoffwechselprofile von Patienten in klinischen Studien gemessen werden. Biocrates, ein Spin-off-Unternehmen der Universität Innsbruck, das u.a. von der Austria Wirtschaftsservice (AWS) gefördert wird, beschäftigt sich seit fast zehn Jahren mit der Entwicklung von Biomarkern, die die Anwesenheit bestimmter Moleküle, die für Krankheiten charakteristisch sind, nachweisen. Biocrates ist auch in viele Projekte im Österreichischen Genforschungsprogramm GEN-AU eingebunden.

Ein anderes Einsatzfeld der Metabolomik sind erneuerbare Energien. In Graz wird bei der Firma BDI – BioEnergy International – aus Algen Biodiesel gewonnen. Die Frage ist, unter welchen Wachstumsbedingungen die Algen am meisten Lipide und in weiterer Folge Biodiesel produzieren.

Auch Nahrungsmittel sind beliebte Forschungsobjekte. An Kartoffeln zum Beispiel wurde die Korrelation zwischen bestimmten Metaboliten, Proteinen und dem Stärkegehalt untersucht– was wiederum für den Nährwert und die Qualität der Kartoffel ausschlaggebend ist. So ließe sich die Züchtung in Richtung eines erhöhten Nährwertes gezielt lenken und der Ertrag für die Kartoffelbauern steigern.

Jena-Experiment. Auf einem Areal in Jena werden auf 90 Versuchsflächen mit je 20 mal 20 Metern 60 charakteristische mitteleuropäische Pflanzenarten angebaut – und zwar jeweils mit einer anderen Artenzusammensetzung. Anhand dieser werden Zusammenhänge zwischen der Pflanzendiversität und Ökosystemprozessen untersucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2011)

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